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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Dr. Friedrich Ratzel (1844-1904)
ein berühmter ehemaliger Geografie-Professor der TU München
Nach meinem Artikel zur Allacher Stuhlbergerstraße, der mit meiner früheren Heimat Niederbayern in engstem Zusammenhang stand, fiel mir die Ratzelstraße in Untermenzing ein, die mich in meiner zweiten Heimat München engstens mit meiner 30-jährigen Zugehörigkeit zur TU München verbindet. Zudem ist die Angerlohe, die im Süden von der Ratzelstraße begrenzt wird, in den vergangenen Wochen mehrfach aus verschiedensten, hier nicht zu diskutierenden Gründen, in die Medien geraten.
Die Ratzelstraße in Untermenzing ist eine kurze und wenig bekannte Straße, die in ost-westlicher Richtung verläuft, im Westen an einem Fußweg endet, der zur Von-Reuter-Straße führt und im Osten an einem Fußweg in die Angerlohe. Siehe dazu die im Bild 1 dargestellte Skizze von Sepp Keller, der dort alle Pfade der Angerlohe, die sich Arbeitnehmer bei Krauss-Maffei und Spaziergänger „ertrampelt“ haben, eingezeichnet hat. Die Ratzelstraße wurde von mir grün, die Von-Reuter-Straße magenta eingefärbt. Im Zuge der Gemeindeverordnung von 1964 wurden neben dem Allacher Forst und dem Lochholz auch die Angerlohe als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen.
Die Ratzelstraße ist eine von rund 70 Allach-Untermenzinger Straßen, die nach Professoren benannt sind, aber ohne den Professor im Straßenschild. Das gibt es wohl in keinem anderen Stadtbezirk. Von diesen Professoren gehörten in Untermenzing neun zur Technischen Universität München. Dies sind: Anton-Fehr-Str. (Milchwirtschaft und Molkereiwesen), Aurel-Voß-Str. (Mathematik), Baldusweg (Mathematik/Mechanik), Finsterwalderstr. (Geometrie/Mathematik), Ganzenmüllerstr. (Brauereitechnik), Ratzelstr. (Geografie), Schönleitnerstr. (Agrarwirtschaft/Brauerei), Theodor-Fischer-Str. (Architektur), Wollnystr. (Agrikulturphysik).
Da die TUM von Anfang an in wechselndem Austausch mit der Stadt München war, machte sich dies auch bei der Benennung von Straßen, Plätzen, Wegen und Brücken bemerkbar, denen wir bei einiger Aufmerksamkeit begegnen, die aber hier nicht aufgezählt werden können.
Die Technische Universität München feierte über das ganze Jahr 2018 ihr 150-jähriges Bestehen. Sie wurde 1868 von König Ludwig II. als Polytechnische Hochschule gegründet und entwickelte sich über die Technische Hochschule (ab 1877) zur heutigen Technischen Universität München (ab 1970). An der Königlichen Polytechnischen Hochschule München, hier im Bild 2 der Neureuther-Bau von 1868 in der Arcisstraße, erwarb sich Friedrich Ratzel die Lehrberechtigung (Habilitation) im Jahr 1875.
Ratzels Karriere ist, wie bei vielen seiner damaligen Kollegen, ziemlich ungewöhnlich verlaufen. Er war 1844 in Karlsruhe als Sohn eines badischen Kämmerers von Großherzog Friedrich I. (1856 bis 1907) geboren. Der junge Ratzel erhielt keine Gymnasialausbildung, sondern machte mit 14 Jahren nach den Vorstellungen seiner Eltern eine Apothekerausbildung in Eichtersheim (Baden), das durch seine berühmten Söhne Friedrich Hecker, Friedrich Ries und eben Friedrich Ratzel bekannt ist (drei Friedrichs!). Ratzel legte als 19-Jähriger die pharmazeutische Prüfung an der damaligen Technischen Hochschule Karlsruhe ab, bereitete sich selbst auf die Abiturprüfung vor und begann ab 1866 an der TH Karlsruhe ein Studium, das ihn anschließend nach Jena und Berlin führte. Er schloss dieses 1868 mit einer zoologischen Dissertation an der Heidelberger Universität ab. Innerhalb von rund 20 Jahren schaffte er es über vier Universitäten vom Apothekerlehrling zum promovierten Zoologen (Bild 3).
Eine weitere, aus Geldmangel mehr zufällige Wende nahm sein Berufsleben, indem er für die „Kölnische Zeitung“, die damals eine der führenden regionalen Zeitungen in Deutschland war, Reiseberichte aus aller Welt schrieb. So kam Ratzel nach Italien, Ungarn, Kuba, Mexiko und in die USA, und weil seine Reiseberichte bei den Lesern gut ankamen, erhielt er sogar eine feste Anstellung, die er aber 1875 endgültig aufgab. Bereits 1871 hatte er nach einem kriegsbedingten Lazarettaufenthalt seinen Wohnsitz nach München verlegt, um seine naturwissenschaftlichen Studien, bei denen die Geografie für ihn immer wichtiger wurde, zu einem vorläufigen Abschluss zu bringen. Er begann nun als Privatdozent für Geografie, und schon nach zwei Semestern wurde dem erst 32-Jährigen eine außerordentliche Professur übertragen, drei Jahre später erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Professor der TH München, am ersten Lehrstuhl für Geografie in Bayern. Leider hat Ratzel nur 21 Semester an der Hochschule gewirkt, bevor er 1886 einem erneuten Ruf an die Universität Leipzig folgte. Er wirkte dort 36 Semester, erhielt aber seine Verbindungen zu München aufrecht, was sich vor allem daran zeigt, dass er sein Landhaus in Ammerland am Starnberger See weiterhin beibehält, dort seine Ferien verbringt und dort auch am 9.August 1904 verstirbt.
Besonders die ehemaligen Geografen der TUM, Prof. Dr. R. Geipel und Prof. Dr. W. Hartke, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, waren stolz auf den Gelehrten vom Range eines Friedrich Ratzel. Die Gemeinde Angelbachtal, zu der seine Lehrapotheke in Eichtersheim gehört, setzte ihm ein bleibendes Denkmal (Bild 4).
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