Das „Kinderballettstudio Erich Steiner“ in Untermenzing
Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet
2014 berichtete ich mit großer Begeisterung über den berühmten Untermenzinger Balletttänzer Heinz Bosl, der den Ruf Münchens als Ballettstadt verbreitete. Mit ihm stand diese Tanzkunst auf einsamer Höhe, und wir waren stolz auf unseren Künstler.
Aber wie kommt jemand auf den Gedanken, in unserem Stadtbezirk eine Kinderballettschule zu schaffen? Wer konnte dies und was brachte er dazu mit? Es war ein Herr Erich Steiner (Bild 1), dessen Lebenslauf man kennen muss, um seine Befähigung zu diesem kunstpädagogischen Unternehmen einschätzen zu können.
Erich Steiner wurde am 21. Mai 1911 in München-Schwabing geboren, ging dort in die Volksschule und machte sein Abitur in den 20er Jahren am Schwabinger Maxgymnasium mit dem späteren Stadtschulrat Dr. G. Fingerle und dem späteren Ministerpräsidenten F. J. Strauß. Er schloss 1939 sein Musikstudium im Dramatischen Gesang mit der Staatsexamensnote Eins ab, wurde anschließend als Funker zum Heer eingezogen und machte den ganzen Russlandfeldzug mit. Steiner kam 1944 in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1948 heimkehren konnte.
Danach wurde er als freischaffender Künstler in der damaligen Münchener Opern- und Schauspielbühne als Bühnenbildner, Abendregisseur und auch als Schauspieler tätig. 1954 gründete er die erste Münchener Kinderprinzengarde und ein Ballettstudio in Untermenzing, wo er seit 1961 in der Naumannstraße 23 wohnte.
Das Auftrittsjahr 1978: Die Meersburger Zeitung (Bild 2) berichtete am 08.02.1978 voller Begeisterung vom Münchner Kinderprinzenpaar, der Kinderprinzengarde und dem Steiner Kinderballett im Sanatorium Wiedemann, die den Kurgästen und der Bevölkerung am Rosenmontag gute Laune und Lebensfreude vermittelten.
Am 04.08.1978 tanzten und sangen die Münchner Ballettmädchen im Altenwohnstift in Dießen, worüber dann die SZ ausführlich berichtete: „Einen vollen Saal hatten die Münchner Ballettmädchen der Tanzschule Steiner, die auf Einladung der Süddeutschen Zeitung am Mittwoch eine fröhliche Fahrt durch das Voralpenland machten und dabei die Gelegenheit nützten, im Theatersaal des Dießener Altenstifts den Stiftsbewohnern und auch den Dießener Bürgern einen erfrischenden Nachmittag zu bescheren.“
Ende November 1978 feierte in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste, unter ihnen auch der spätere Namensgeber unseres Altenheims, Sozialreferent Hans Sieber, die SZ „30 Jahre Adventskalender für gute Werke“ und einen musikalischen Dank spendeten die 75 Steiner-Mädchen den 450 Mitarbeitern von sozialen Institutionen.
Als Musiklehrer wirkte Erich Steiner neben verschiedenen anderen Schulen an der Städtischen Sing- und Musikschule, seit 1966 auch an unserer damals neu gegründeten Manzoschule, in der 1972 auch unsere Tochter ihre Schullaufbahn begann.
Bald nach der Hochzeit mit seiner Frau Luise, einer gelernten Großhandelskauffrau, kaufte sich das Paar 1970 ein altes Bauernhaus in Utting am Ammersee, um mit den Kindern Wochenenden zum Üben und zur Freizeitgestaltung verbringen zu können. Auf diesem Steinerhof, der heute noch unter anderem Namen und anderer Nutzung besteht, wurde getanzt und gesungen, aber auch gewandert und gespielt und im Ammersee geschwommen. Dem Autor wurde dies auch von seiner Frau bestätigt, die mit einer anderen Mutter unsere Tochter im Bus begleitete. Diese Aufenthalte sollten nach dem pädagogischen Konzept der Steiners besonders den Teamgeist der Kindergruppe fördern.
Seit 1972 gab Steiner Ballettunterricht im neuen Pfarrsaal von Maria Trost. 1980 gründete die Familie Steiner den gemeinnützigen Verein „Tanz-, Sing- und Musikensemble Erich u. Luise Steiner e. V.“
1991 kamen acht russische Mädchen aus Brjansk, einer Stadt in der Nähe von Tschernobyl, zur Erholung auf den Steinerhof in Utting (Bild 4), auf den Steiner die zehn- bis zwölfjährigen Mädchen mit einer Begleiterin eingeladen hatte. Als junger Soldat war Steiner vier Jahre lang in Gefangenschaft in Brjansk gewesen, der Stadt, aus der seine jungen Gäste stammten. Aber trotz der Schrecken des Krieges hatte er die Weite des Landes und die russische Sprache lieben gelernt und saß als Funker nächtelang am Funkgerät und lernte Russisch. Die Mädchen kamen mit einiger von den Eltern vermittelten Voreingenommenheit nach Deutschland, weil diese aus ihren Kriegserfahrungen noch schlechte Vorstellungen von den Deutschen hatten. Die Bedenken der Kinder wurden aber schon im Flugzeug durch deutsche Touristen stark abgebaut und verschwanden während ihrer erlebnisreichen Urlaubstage in Utting ganz.
Zum 80. Geburtstag Steiners brachte die SZ am 24.07.1991 ein ausführliches Portrait von „Erich Steiner, dem Kinderchoreographen“, in dem B. Landwehr dem Leben Steiners in Vergangenheit und Gegenwart nachgeht und einleitend die Situation im Allacher (falsch! Untermenzinger) Wohnzimmer beschreibt. Sie ist es wert, wörtlich wiedergegeben zu werden: „Das Wohnzimmer des Allacher Reihenhauses ist eine eigenwillige Mischung aus guter Stube, Abstellkammer und Bühnengarderobe. Auf dem Boden und den Möbeln lagern Scheinwerfer, Lautsprecherboxen und Kartons mit Theaterutensilien, in einer Ecke steht ein Kleiderständer mit Kinderkostümen. Verbringt hier ein Mensch den geruhsamen Lebensabend?“
Am 31.03.1992 erhielt Steiner aus der Hand der damaligen Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Barbara Stamm (Bild 5), das Bundesverdienstkreuz am Bande für sein großes ehrenamtliches und uneigennütziges Engagement. Sie sagte abschließend: „Mit der Übergabe dieser hohen Auszeichnung verbinde ich meinen persönlichen Dank und meine Anerkennung und wünsche Ihnen, dass Sie mit Ihrem Ensemble noch viel Freude vermitteln und erleben können.“
1996 starb Steiner im Alter von 85 Jahren völlig unerwartet und wurde in seinem Elterngrab im Nordfriedhof bestattet. Nach seinem Tod führte Frau Luise Steiner das Tanz-Ensemble in seinem Sinne noch viele Jahre weiter.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH