"Größere Mobilität"
Green City macht Geflüchtete fit für die "Öffentlichen"
"Wir haben die erste Fahrt eingetragen", sagt Fahiz und zeigt auf den Papierbogen in seiner Hand. Fahiz Mitschüler nicken. "Können wir jetzt los?" Die insgesamt vier jungen Geflüchteten der Berufsintegrationsklassen der Städtischen Berufsschule für Gartenbau, Floristik und Vermessungstechnik stehen vor dem Schulgebäude – sie wollen endlich auch starten. Zwei weitere, ähnlich große Schülergruppen sind bereits unterwegs. Eva Maschino von der Umweltorganisation Green City e.V. nickt: "Wir machen uns sofort auf den Weg, bitte schaut nur noch einmal, ob ihr eure Aufgaben habt." Haben sie; es kann losgehen.
Welche Fahrkarte ist richtig?
Die Münchner "Öffentlichen" mit Bus, U-Bahn, S-Bahn und Tram sind eine Wissenschaft für sich: Zonen, Ringe und Streifen, Querverbindungen, Stammstrecke und Außenbereiche. Selbst alteingesessene Münchner ziehen mitunter einmal das falsche Ticket. Doch gerade für Geflüchtete ist der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) eine Herausforderung: Sie kämpfen mit neuem Umfeld, Großstadtdschungel und fremder Sprache, mit Ticketautomaten, deren Auswahl schier unendlich scheint und einer riesigen Fülle an Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Verkehrsmittel. Welche Verbindung die schnellste ist, welche Fahrkarte die richtige – ohne Hilfe ist das für die Neuankömmlinge kaum herauszufinden. Kein Grund zur Verzweiflung: Unterstützung kommt von Green City. Im Zuge des Projekts "Integratives Mobilitätszentrum" organisiert die Initiative das Angebot "München erfahren". In mehreren Unterrichtsstunden lernen Geflüchtete, wie der ÖPNV funktioniert. Dann wird theoretisches Wissen angewandt: Auf Exkursion im Nahverkehr können die Geflüchteten zeigen, wie gut der Weg von A nach B bereits klappt. Green City setzt die Idee mit Übergangsklassen einer Mittelschule um, außerdem mit den Berufsintegrationsklassen, die Fahiz und seine drei Mitstreiter besuchen.
Unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen
Die Jungs sollen vier Stationen anfahren, dabei gilt es, sinnvolle Verbindungen zu wählen und möglichst viele unterschiedliche Verkehrsmittel zu nutzen. Los geht es am Westfriedhof – die Haltestelle liegt direkt an der Berufsschule. Von dort führt der Weg zum Rosenheimerplatz, weiter geht es an den Grünspitz an der Tegernseer Straße und schließlich über Kapuziner Straße und Marienplatz zurück zur Schule. "Alle Stationen der Route haben Bedeutung in der ein oder anderen Weise", erklärt Maschino, "der Rosenheimer Platz ist Teil der Stammstrecke, der Grünspitz ein wichtiges Projekt von Green City und an der Kapuziner Straße liegt das Berufsintegrationszentrum (BIZ)." Am Marienplatz könnten die Jungs sich dann noch das Rathaus ansehen. Green City hat sich außerdem einige Fragen ausgedacht, die während der Rallye zu beantworten sind: Wo befindet sich beispielsweise der Feuerlöscher in der S-Bahn? Auch kleine Zusatzaufgaben müssen erledigt werden. Unter anderem soll jeder Geflüchtete im BIZ eine Infobroschüre mitnehmen, die ihm interessant erscheint. "Ich will später als Programmierer arbeiten", sagt Zabiollah, "dazu könnte ich Material suchen."
"Bereits gut orientiert"
"In den Berufsintegrationsklassen haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Geflüchteten bereits recht gut orientiert sind. Wir zeigen ihnen nur letzte Kniffe", berichtet Maschino. Die Mittelschüler hingegen seien jünger und und deswegen häufig auch unsicherer. "Wir hatten einen Jungen, der einmal wöchentlich zu seiner Tante gefahren ist. Durch die ganze Stadt, drei Zonen." Weil er es nicht besser gewusst habe, habe der Schüler jeweils ein Einzelfahrtticket gekauft, das koste um die acht Euro. "Jetzt weiß er, dass er einfach eine Streifenkarte verwenden kann und als 'Kind' unter 14 Jahren jeweils nur einen Streifen stempeln muss – heruntergerechnet kostet ihn die Fahrt also nur noch zirka 1,40 Euro." Als Umweltorganisation sei Green City daran interessiert, ökologische Alternativen zum Auto aufzuzeigen. Im "Integrativen Mobilitätszentrum" würden gerade Randgruppen an nachhaltige Fortbewegung herangeführt. "Für unsere Geflüchteten möchten wir größere, umweltfreundliche Mobilität erreichen."
Zabiollah, Fahiz und ihre beiden Mitschüler Barry und Teages laufen inzwischen die Treppen der U-Bahn Station Westfriedhof hinunter. Am Fahrkartenautomaten haben sie ihr Gruppenticket gezogen und ganz selbstverständlich gestempelt. Maschino muss sich beeilen, um die Jungs einzuholen. Das sieht doch schon einmal nach einem gelungenen Start in die Exkursion aus; in die Exkursion und in ein einfacheres, mobiles Leben in München.
"So erlebe ich meine Schüler"
Caroline Smarzly, Städtische Berufsschule für Gartenbau, Floristik und Vermessungstechnik: " In nur einem Unterrichtsjahr haben die Schüler trotz unterschiedlichstem Bildungshintergrund deutlich an Sprachsicherheit, aber auch an sozialem Geschick und kultureller Kompetenz gewonnen. Hierbei erlebe ich die jungen Menschen als motiviert, aufgeschlossen und lernfreudig. Eine strukturierte und engagierte Anleitung durch die Lehrkräfte bilden, ebenso wie Fleiß und Zielstrebigkeit der Jugendlichen selbst, zentrale Bausteine für den Lernerfolg. Im nächsten Schuljahr wünsche ich mir für unsere Schüler besonders viel Durchhaltevermögen, eine optimistische Grundeinstellung, um das eigene Potential abrufen zu können und vor allem positive Rückmeldungen bei der Suche nach Ausbildungsplätzen."
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