Die schaffen das
Erfolgsmodell „Internationale Klassen“ an der Carl-von-Linde-Realschule
Gebannte Blicke auf den Bunsenbrenner. Chemielehrer Peter Tietz hält Reagenzgläser mit etwas Mehl, etwas Zucker, etwas Salz und einem Gummibärchen in die Flamme. Was ist zu beobachten? Der Lehrer zeigt die Reagenzgläser herum: Bei dreien wird der Inhalt schwarz, bei einem bleibt er weiß. Warum? Ein klein wenig Akzent in der Stimme ist wahrnehmbar, wenn Peter Tietz immer wieder fragt, erklärt und mit der Klasse den Unterschied erarbeitet. Schwungvoll schreibt er Versuch, Ergebnis und Erklärung an die Tafel, die Schüler übertragen eifrig in ihr Heft. Eine ganz normale Chemiestunde in der 10. Klasse?
Es ist eine besondere Klasse: Die Jugendlichen sind alle noch nicht sehr lange in Deutschland. Etwas über zwei Jahre ist es bei den meisten. Sie haben eine Übergangsklasse an der Mittelschule besucht und den Sprung an die Städtische Carl-von-Linde-Realschule geschafft – in eine Internationale Klasse. Schon vor 40 Jahren haben hier Lehrkräfte den Bedarf erkannt und das Konzept entworfen: Ursprünglich für Gastarbeiterkinder, später kamen Aussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge, Einwanderer aus verschiedensten Ländern.
Unter ihnen waren und sind viele begabte und motivierte Schüler, die den Realschulabschluss schaffen können – wenn sie nur eine intensive Förderung in Deutsch und Englisch bekommen. Und zwar nicht nur im ersten Schuljahr, sondern fortlaufend auch in den weiteren Jahrgangsstufen. Und so wurden Internationale Klassen mit Zusatzstunden und einem entsprechend erweiterten Stundenplan eingerichtet – noch lange bevor jemand von Ganztagsunterricht sprach.
Vom Schüler zum Lehrer
Peter Tietz wurde in Polen geboren und kam im Alter von 14 Jahren nach München. Zuerst ging er auf die Hauptschule, „und ich habe anfangs fast nichts verstanden“, erzählt er heute mit einem Schmunzeln. Sein Lehrer ermutigte ihn, eine Internationale Klasse an der Carl-von-Linde-Realschule zu besuchen. Von der siebten bis zur zehnten Klasse lernte er hier im Schulgebäude an der Ridlerstraße alles, was er für einen hervorragenden Realschulabschluss benötigte. „Mein Lehrer damals, Herr Wischnitzki, hat mich motiviert, weiter zur Schule zu gehen. Ich habe schließlich am Rupprecht-Gymnasium Abitur gemacht und Lehramt studiert.“ Und nun unterrichtet er an seiner ehemaligen Schule.
Gegenseitige Wertschätzung
„Es ist eine Freude hier mit Kindern zu arbeiten, die eine ähnliche Geschichte haben wie ich“, sagt Tietz, und wer ihn im Unterricht erlebt, nimmt ihm die Freude sofort ab. „Auch wenn es manchmal etwas zu kritisieren gibt“, zwinkert er seiner Klasse zu: „Wenn jemand zu spät kommt oder nicht aufpasst. Aber das Entscheidende ist, dass wir uns alle gegenseitig wertschätzen.“
Engagement und Herzblut
Die Internationalen Klassen an der Städtischen Carl-von-Linde-Realschule sind eine Erfolgsgeschichte. „Im vorigen Jahrgang haben alle Schüler der Internationalen Klassen ihre Abschlussprüfung bestanden“, berichtet Schulleiter Philipp Volkmer. Das findet er beachtlich angesichts der allgemein relativ hohen Durchfallquoten. Über 30 Prozent der Schüler besuchen anschließend die Fachoberschule oder das Gymnasium. Auch fast alle anderen finden einen Anschluss. Über die Fülle an Möglichkeiten werden die Schüler hier umfassend informiert: Beim jährlichen Berufsfindungstag, über Praktika in allen möglichen Branchen und von ihren Lehrern.
Neben den Leistungserfolgen wird die Schule auch immer wieder als Beispiel für gelingende Integration genannt. Schüler aus über 60 Nationen lernen und leben hier unter einem Dach, man akzeptiert sich gegenseitig und betrachtet die interkulturelle Vielfalt als Gewinn für alle Beteiligten. Die schaffen das. Was ist das Erfolgsgeheimnis? "Das Engagement und Herzblut der Lehrer", antwortet Konrektor Harald Kraus. "Es macht echt Arbeit", ergänzt Philipp Volkmer.
Salz bleibt weiß
Ach übrigens, warum bleibt das Salz beim Erhitzen weiß? Peter Tietz erklärt es: "Weil kein Kohlenstoff darin enthalten ist. Im Mehl, Zucker und in unserem armen Gummibärchen ist es der Kohlenstoff, der schwarz wird. Und woraus besteht Salz? Wer weiß es?" – Genau. Natriumchlorid.
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