Aus Erinnerung wächst Pflicht
Ökumenische Einweihung des "Leeren Stuhls"
An der Südseite der Obermenzinger Pfarrkirche Leiden Christi steht seit Sommer das Kunstwerk „Leerer Stuhl“ der Künstlerinnen Marlies Poss und Blanka Wilchfort. Es zeigt einen drei Meter hohen Metallstuhl in Schieflage, ohne Sitzpolster und soll daran erinnern, dass während des Holocausts viele Juden aus ihrer Heimat vertrieben wurden und buchstäblich keinen Platz mehr in der Gesellschaft hatten. Geschaffen wurde das Kunstwerk 2013 anlässlich der Open-Air-Kunstmeile „Verweile doch ...“ zum 1250-Jahr-Fest in Pasing.
Ursprünglich stand der Stuhl während der Kunstmeile in der Kaflerstraße, wurde später allerdings fest neben dem Rathaus Pasing installiert. Eine weitere „Stuhl“-Konstruktion steht in Gräfelfing an der Würm. Dort wurde das Kunstwerk ebenfalls zum 1250-jährigen Ortsjubiläum im Jahre 2013 ausgestellt.
Großer Anklang bei Bürgern
Zur Einweihung des Obermenzinger Denkmals am 9. November kamen sowohl Pfarrer Klaus Günther Stahlschmidt von Leiden Christi als auch seine Kollegen Matthias Dörrich aus der Carolinenkirche und Frank-Christian Schmitt aus der Trinitatiskirche, der israelische Generalkonsul in München, Dan Shaham, der Historiker Prof. Michael Wolffsohn aus Untermenzing, Vertreter des Vereins der Freunde Schloss Blutenburg als Stifter des Kunstwerks, der Bürgervereinigung Obermenzing sowie Vertreter der Lokalpolitik und viele Bürger.
Denkwürdige Ereignisse der deutschen Geschichte seien bereits auf dieses Datum gefallen, merkte Andreas Ellmaier vom Verein der Freunde Schloss Blutenburg an, wie zum Beispiel die Ausrufung der Republik 1918, die „Kristallnacht“ 1938 oder auch der Fall der innerdeutschen Mauer 1989. „Der Stuhl ist ein weithin sichtbares Symbol für Erinnerung. Dies wollen wir auch mit dem besonderen Einweihungsdatum würdigen.“
Treffendes Symbol
Die Feierstunde erhielt mit dem Besuch des israelischen Generalkonsuls Shaham ein besonderes Gewicht. Shaham verzichtete auf die gemeinsame Gedenkstunde mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel zugunsten der Obermenzinger Feierstunde. Festredner Wolffsohn bezeichnete Shahams Anwesenheit als „Dialogsuche und Dialogbereitschaft trotz allem und nach allem“.
„Es ist unsere Pflicht zusammenzukommen, gemeinsam zu gedenken und miteinander zu sprechen. Dies alles geschieht aus der Erinnerung und es setzt gleichwohl auch Zeichen der Erinnerung. Und darüber hinaus erwächst aus der Erinnerung die Pflicht zu handeln“, bekräftigte Wolffsohn. Die Form der Erinnerung als leerer Stuhl hätte treffender nicht sein können. „Hier merkt man sofort auf: Aha, da fehlt einer! Das ist unmissverständlich und weder abstrakt noch verschieden interpretierbar, sondern konfrontiert uns mit der Leere."
Erinnern geht weiter
Erinnerung sei wiederum auch die Kernaussage des christlichen Glaubens, so auch Pfarrer Stahlschmidt in seiner Rede. „Uns ist es ein Anliegen, Menschen in ihrer Erinnerung zu bestätigen, sie zurückzuführen in die Vergangenheit, um Kraft und Mut für die Gegenwart zu schöpfen.“ Er freue sich über die Stiftung des Kunstwerks und damit über einen weiteren Ort des Gedenkens und Erinnerns in der Gemeinde. Stahlschmidt zeigte sich beglückt darüber, dass so viele Menschen der Einladung zur Einweihung gefolgt waren.
Für den Verein der Freunde Schloss Blutenburg e.V. bedeutet die Einweihung des Kunstwerks einen Auftakt für eine Reihe von Veranstaltungen, die alle im Rahmen des 1200-Jahr-Festes Menzing im nächsten Jahr stattfinden sollen. Alle zwei Monate soll an eben dieser Stelle am Kunstwerk eine Autorenlesung stattfinden, zu denen die Gäste gebeten werden, ihre eigenen Stühle mitzubringen. Der Auftakt dazu wird am 25. Januar um 17 Uhr mit dem Kulturforum München-West sein. Am 1. März um 17 Uhr werden Susanna Bummel-Vohland und Uwe Kullnick lesen, am 26. April um 18 Uhr liest Michael Wolffsohn und am 28. Juni um 18 Uhr Wolfgang Knittel.
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