Die Mär vom Lustschloss und Geisterhaus
Bericht von Stadtteilhistoriker Walter Demmel über das Gebäude an der Eversbuschstr. 159
Wer heute nach dieser Hausnummer sucht, wird ein großes Mehrfamilienhaus finden, das weit in die Straße ragt, nicht in allerbestem baulichem Zustand ist und von einer Firma, die sich mit Pflaster- und Straßenbau beschäftigt, genutzt wird. Es grenzt im Norden an das heutige Allacher Vereinsheim an, das die Hausnummer 161 trägt, im Süden an das ehemalige Gemeindehaus mit Nr. 155, das, im Besitz der Stadt München, schon seit Jahren ungenutzt und dem Verfall preisgegeben ist.
Wer ein Bild des Hauses 159 aus dem Jahr 1935 sehen will, dem steht ein wenig attraktives Zeitungsbild des Würmtalboten vom 11.10. d. Js. zur Verfügung, das dieses Gebäude als das „uralte Keramikgebäude" ausweist. Damals war das Gebäude an der Hauptstr. 49, zwischen 1933 und 1945 an der Horst-Wessel-Str. 49, ab 1945 dann Hausnummer 159. Bevor auf die Nutzungsgeschichte des Hauses eingegangen wird, sei ein Teil seiner Geschichte nach dem Artikel des Würmtalboten erzählt.
Am 12.10.1935 war es 500 Jahre, dass die unglückliche Frau Herzog Albrechts III. von Bayern, die Bernauerin, in der Donau zu Straubing auf Befehl seines Vaters, Herzog Ernst von Bayern, ertränkt wurde. Auf diese Geschichte soll hier aber nicht weiter eingegangen werden, sondern nur auf das einschlägige Buch von M. A. Panzer, „Agnes Bernauer. Die ermordete Herzogin". Interessant ist jedoch, dass der Würmtalbote in seiner Überschrift „Geschichten um die Agnes-Bernauer-Mauer in Allach" ankündigt.
Ein Märchen aufgetischt
Die Abbildung von 1935 zeigt die Mauer, die eine auffallende Innenseite aufwies, als Verbindungsstück des Gemeindehauses und des alten Keramikgebäudes, zu dem das auf dem Bild noch sichtbare Mauertor führte. Das Märchen, das der Würmtalbote hier seinen Lesern auftischt, besteht darin, dass sich dahinter ein Lustschloss oder auch nur eine Zufluchtsstätte befunden habe, in dem Agnes Bernauer sich aufgehalten habe, weil sie im Schloss Blutenburg nicht wohnen durfte. Ein Märchen deshalb, weil nachgewiesen ist, dass der Pfarrer zu Aubing und die Kirchpröpste der Ulrichskirche zu Laim der Bernauerin aus dem Besitz der Kirche einen halben Hof und eine Hofstatt zu Untermenzing verkauften, wobei es sich zweifellos um ein verdecktes Geschenk des Herzogs an die Bernauerin als Renditeobjekt in der Nähe des Wohnsitzes, nämlich der Blutenburg, handelte. Der eine Hof befand sich, wie in unserem bald erscheinenden „KulturGeschichtsPfad Allach-Untermenzing nachzulesen ist, auf dem Grundstück Eversbuschstr. 28-28c der ehemaligen Sterrhube, das andere auf dem Grundstück Eversbuschstr. 40-40b, später „Beim Beinhofer". Nachgewiesen ist aber auch, dass König Pippin der Kurze in Allach einen Königshof hatte, von dem die Mauer ein Überbleibsel sein könnte. Wann die Mauer abgerissen wurde, ist bisher nicht bekannt. Nichts war es also mit der Agnes Bernauer und ihrer Mauer in Allach.
War die Mauer sagenumwoben, so geht es beim Keramikgebäude um harte Realität. Interessant war dieses Gebäude für den Autor, weil er erfuhr, dass es vor den „Keramischen Werkstätten Franz Nagy" aus dem Jahr 1935 in der Nachbarschaft von Krauss-Maffei, der späteren Porzellan Manufaktur Allach, am Ort bereits eine Keramikfabrik gegeben hat. Das Keramikgebäude gehörte Anfang der 20er Jahre nachweislich der Firma Kunstkeramik München mit Sitz in der Horemansstr. 25/Neustätterstr. (Eckhaus) in Neuhausen, ein Gebäude, das Anfang der 20er Jahre einer Helene Scharffe gehörte und dort heute noch besteht. Nach Auskunft von Franz Schröther (Geschichtswerkstatt Neuhausen) war im Erdgeschoß die Keramikfirma angesiedelt.
Gruselgeschichten von alten Allachern
Das als „Geisterhaus" bekannte Gebäude in Allach war nach dem Stadtteilbuch von E. Rudolph zuletzt im Besitz der Seemüller-Bäuerin, die die Allacher als Hexe sahen, was vermutlich damit zusammenhing, dass man viele geheimnisvolle Vorgänge im Anwesen vermutete. Auch darüber gäbe es von alten Allachern noch einige Gruselgeschichten zu erzählen. Sicher ist aber, dass sich die Nachbarn über die Firma laufend beschwerten und diesen unbeliebten Betrieb möglichst bald loshaben wollten, was aus einem Schreiben des Bezirksamtes München vom 03.04.1923 bereits deutlich hervorgeht.
Man berichtet dort anlässlich der Beschwerde des Gemeinderats vom 06.11.1922 von einer Besichtigung der Keramikfabrik. Danach waren im westlichen Teil des Anwesens ein großer Brennofen für keramische Erzeugnisse mit einem Kamin von 2 m über dem Dach und ein kleiner mit einem Kamin von 80 cm über dem Dach eingebaut. Beide Kamine waren an der Westgiebelwand außen hochgeführt. Den Begutachtern fiel auf, dass bei Westwetter die Rauchwolken sehr tief gedrückt wurden und diese dem Dach der Südseite entlang über die Straße zu den beiden gegenüber liegenden Anwesen Nr. 6 und 7 hinzogen.
Josef Berner, der Besitzer von Haus-Nr. 7 hatte sich schon mehrfach mündlich und schriftlich bei der Gemeinde beschwert, dass die Rauchbelästigung für sein Anwesen sehr groß sei, der Aufenthalt im Hofraum zeitweilig unmöglich, bei Schneefall die Schneedecke auf Straße und Hof schwarz. Der Rußniederschlag schade besonders zur Erntezeit und beim Getreidedreschen, weil Erntegut und Stroh stark verschmutzten und das Vieh das verrußte Heu nicht fressen wollte. Auch ein gefährlicher Funkenflug auf diese Erntegüter konnte nicht ausgeschlossen werden.
Gefahr geleugnet
Georg Grünwald, Besitzer von Haus-Nr. 6 und Großvater des heutigen Inhabers, der auch gegenüberliegt, gab an, dass der Rauch hauptsächlich an die Giebelseite seines Hauses treibe, diese verruße und ein Öffnen der Fenster nicht zuließe. Auch sei aus dem kleinen Kamin starker Funkenflug gekommen, der über die Straße zog und noch den Hof erreichte. Der darauf angesprochene Direktor Scharffe gab den angesprochenen Funkenflug als von unten beleuchteten Rauch an und leugnete die Gefahr. Die von Berner und Grünwald angegebenen Missstände wurden von neutraler dritter Seite bestätigt und von einem südlichen Nachbarn ebenfalls beklagt.
Auf Hinweis des Bezirksamtes sollten nun beide Kamine um einige Meter erhöht und Funkenfänger aus Draht eingebaut werden. Zudem mussten neue Tekturpläne vorgelegt werden, weil von den genehmigten abgewichen und der kleine Kamin ohne Genehmigung gebaut worden war. Die Auflagen mussten binnen drei Wochen erfüllt werden. Zuletzt wurde auf den Gemeinderatsbeschluß vom 31.05. 22 hingewiesen, wonach nach §11 der ortpolizeilichen Vorschriften die Errichtung von Anlagen untersagt sei, wenn für die Bewohner der benachbarten Grundstücke erhebliche Nachteile, Gefahren, Belästigungen usw. entstünden.
Die Firma Kunst-Keramik München GmbH weist im Juli 1923 vor allem die Bezeichnung „feuergefährlicher Betrieb" als unrichtig und unberechtigt zurück. Man legt auch darauf Wert, dass die Pläne für Umbauten und Brennöfen dem Bezirksamt und der Feuerpolizei vorgelegen hätten und nicht beanstandet wurden. Man sah sich damit berechtigt, den Betrieb trotz gemeindlicher Drohungen unverändert weiter zu betreiben, und erhob gegen eine mögliche Betriebssperrung Beschwerde. Der Bürgermeister von Allach ging auf jeden Fall auf Konfrontationskurs, indem er erwidert, dass es im Interesse der Gemeinde sei, einen derartigen Betrieb aus der Ortschaft zu entfernen.
Bittere Realität
Aufgrund des andauernden Streits scheinen sich auch die Produktionsbedingungen verschlechtert zu haben. Ein Konkursverfahren wird eingeleitet, schon Anfang 1925 kommt es zur Versteigerung aller Gegenstände in den Fabrikräumen. Im Oktober des Jahres gibt das Konkursgericht München bekannt, dass es über das Vermögen der Firma Kunst-Keramik in München GmbH auf Antrag der Direktion den Konkurs eröffnet habe. In einer Niederschrift vom 17.10.1925 gibt schließlich die Gemeinde den Ankauf der Kunstkeramik in Allach um 18.000 Goldmark und wenige Tage später die Verbriefung des Kaufs bekannt. Die Größe des Grundstücks war 0,624 ha, dazu kamen noch 183 Tagwerk Feld. Die Gemeinde plante laut Angaben im Stadtarchiv unmittelbar den Umbau zu einem gemeindlichen Kindergarten, zu dem ein Plan vom April 1926 vorliegt.
Etwas irritiert ist der Autor, weil bald darauf das jetzige Vereinsheim, Eversbuschstr. 161, in der Nachbarschaft als Kindergarten neu gebaut wurde. Rudolph schreibt in seinem Stadtteilbuch, dass das Anwesen Eversbuschstr. 159 von 1904-1907 als Schule, von 1916-1918 als Schweinemästerei und erst, wie bereits beschrieben, von 1922-1925 als Kunstkeramikfabrik, in der Ofenkacheln produziert wurden, genutzt wurde. Bis 1937 bewohnten es dann arme Familien, es diente aber auch als Polizeistation. Und so endet das schöne Märchen von der Agnes-Bernauer-Mauer und dem Geisterhaus in der bitteren Realität einer Firmenpleite.
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