"Wenn ich eine Fachkraft will, muss ich Wohnraum anbieten"
Wohnungsmangel: Wer kann in die Bresche springen? Gelingt der Schulterschluss?
München wächst: Im Jahr 2030 sollen bereits über 1,7 Millionen Menschen in der Stadt leben - 230.000 mehr als heute (das schätzt die "Bevölkerungsprognose der Landeshauptstadt München – Planungsprognose 2013 bis 2030" des Stadtrates).
Wo sollen die dringend benötigten Fachkräfte wohnen? Wie sollen sie Familie gründen, wenn die Mieten immer teuerer werden? Und wer soll Kinder erziehen, wenn beide Eltern arbeiten müssen, um – auch wegen der Miete – über die Runden zu kommen?
Bringen uns Rückgriffe auf Modelle weiter, die sich in der Vergangenheit bewährt haben? MdL Andreas Lotte will den verstärkten Bau von Werkswohnungen prüfen lassen; OB Dieter Reiter hat versprochen, Flächen für genossenschaftlichen Wohnungsbau systematisch auszubauen. Beim Round-Table-Gespräch der Münchner Wochenanzeiger tauschten sich Experten über diese Ansätze aus.
Ohne Wohnraum verliert der Magnet seine Kraft
"Die demographische Wende wird 2018 massiv einschlagen. Wir werden in den nächsten fünf bis acht Jahren einen Wettbewerb um Arbeitskräfte sehen, wie wir ihn uns heute noch nicht vorstellen können", warnt Peter Kadereit (SWM) und da spiele eben die Verfügbarkeit von Wohnraum und die für das Wohnen aufzubringende Kosten eine entscheidende Rolle bei der Personalgewinnung. Er nennt als Beispiel den Busfahrer, der in Chemnitz und München etwa das Gleiche verdient. Da falle die Entscheidung, in welcher Stadt der Job angenommen wird, angesichts der unterschiedlichen Mietniveaus leicht.
"Der Fachkräftemangel drückt", bestätigt Claudia Schlebach für die IHK: 36 Prozent der Unternehmen sehen in ihm das größte Risiko für ihre Zukunft. Sie sagt: "Wollen wir den Wirtschaftsstandort langfristig halten, müssen wir für das Thema Wohnen eine Lösung finden!"
Ähnlich sieht es Ingrid Appel von der 300 Mitglieder starken Mieterinitiative Haderner Stern: Aus dem Bau von Werkswohnungen haben sich die Unternehmen völlig zurückgezogen. Das sei aber ein Aufgabe für die großen Firmen, die ja auch die Leute von außen nach München heranziehen.
"In den 70er Jahren waren Werkswohnungen ein bewährtes Modell", erinnert Andreas Lotte, "jetzt denken wieder viele Unternehmen ernsthaft daran. Wir haben viele Gespräche mit Unternehmen geführt, unter welchen Voraussetzungen das möglich wäre." Gerade angesichts des Fachkräftemangels wäre das eine Lösung, Mitarbeiter an die eigene Firma zu binden.
Was ist das Kerngeschäft?
Das Problem: Heute wollen sich Unternehmen in der Regel auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Lotte will darauf reagieren: "Andere sollen die Wohnungen bauen, aber die Unternehmen sollen Belegungsrechte erwerben können." Das hätte den Vorteil, dass die "Münchner Mischung" gewährleistet bleibt - also verschiedene Schichten in einer Wohnanlage zusammenleben. Nicht jeder, so Lotte, möchte zudem nur Kollegen als Nachbarn haben.
Der Landtag hat auf Lottes Initiative die Staatsregierung um einen Bericht gebeten, wie der Bau von Werkswohnungen verwirklicht werden kann. "Ich bin sehr froh, dass wir im Landtag dafür eine breite Mehrheit bekommen haben. Alle meinen, dass wir das angehen müssen", unterstreicht Lotte. Er denkt an neue Instrumente wie steuerliche Anreize für Betriebe: "Sie sollten Gewinne nicht nach Irland verschieben, sondern sie in Werkswohnungen investieren oder gezielt Belegungsrechte erwerben!"
"Fast ein Teufelskreis" für das Handwerk
Für die kleinen Unternehmen ist es indes schwierig, die für solche Vorhaben – gerade in München – nötigen Beträge zu erwirtschaften, wendet Lothar Semper ein. Mit der Handswerkskammer vertritt er die eher kleinen und mittleren Betriebe. Wenn diese in Werkswohnungen investierten, fehle ihnen dieses Geld, um Arbeitsplätze zu sichern. Belegungsrechte könnten das Problem zwar abmildern, doch bleibe das finanzielle Problem bestehen, so Semper: Das Geld fehle dann an anderer Stelle im Betrieb.
"Das ist für uns fast ein kleiner Teufelskreis", so Semper, "in München haben wir 80.000 Beschäftigte im Handwerk, die wollen natürlich auch unterkommen!"
Die Genossenschaften können da ein Stück weit in die Bresche springen, meint Klaus Schaffarczik. Die Eisenbahner-Baugenossenschaft, die er vertritt, ist 107 Jahre alt und verfügt über 2.000 Wohnungen.
"Es kommt immer noch mehr oben drauf"
Viele Genossenschaften sind baubereit, betont er. Zuletzt hat seine Genossenschaft 1976 gebaut, doch jetzt schafft sie 130 neue Wohnungen in Riem. "Dazu müssen wir an die Fördertöpfe ran", sagt Schaffarczik. Und das ist bisher ein Problem: "In den letzten Jahren hat man uns Genossenschaften so gut wie nicht gefördert. Es gab keinen Anreiz zum Bauen."
Wie den kleinen Handwerksbetrieben fehlt es den Genossenschaften an Geld: Die niedrigen Mieten (bei manchen Genossenschaften z.B. noch 4 Euro Kaltmiete) sind zwar für die Mieter ein großes Plus, aber davon könne man keine Reserven schaffen, um Neues zu errichten. Schaffarczik rechnet für das Riemer Projekt neben Grundkosten von 1.400 bis 1.500 Euro pro qm Geschossfläche für den freifinanzierten Wohnungsbau mit hohen Baukosten und Verwaltungsgebühren: "Alles steigt und geht ins Unendliche", kritisiert er, "immer kommt noch mehr Verwaltungsaufwand oben drauf."
Zu starre Vorschriften sind auch für Semper ein Hemmschuh: "Wo Betriebe sind, werden oft keine Wohnungen zugelassen – und umgekehrt." Er fordert, Wohnen und Arbeit in den Vierteln deutlich enger zusammenzuführen. Das würde auch die Verkehrsströme reduzieren.
"Verkauf war ein Riesenfehler"
"Es war ein Riesenfehler, die Werkswohnungen zu verkaufen", resümmiert Stadträtin Beatrix Zurek. Klaus Schaffarczik stimmt ihr zu: "Als die Bundesbahn zur AG wurde, hat man 100.000 Wohnungen verkauft - damit waren sie weg!" Die Versicherungsgesellschaften spricht Lothar Semper an: Die hatten früher Werkswohnungen in ihrem Portfolio, um damit ihre Renditen zu erwirtschaften. "Doch die haben sich aus diesem wichtigen Bereich zurückgezogen, weil es viele Jahre rentabler war, Aktiengeschäfte und andere Investments zu tätigen", meint Semper, "diese Lücke zu füllen, ist schwierig!"
Beatrix Zurek weiß, dass nicht jeder Betrieb "den Klassiker machen", also Werkswohnungen bauen kann. Trotzdem müsse man jede Möglichkeit nutzen, ihren Bau anzukurbeln. Sie vertritt als Vorsitzende des Mietervereins 70.000 Münchner und begrüßt es daher, dass bei Werkswohnungen bei der Höhe der Miete auch der Betriebsrat ein Wörtchen mitreden kann.
"Ist das ein Investitionsanreiz?" fragt Lothar Semper skeptisch. Zurek bejaht: "Die Unternehmen wissen doch: Eine Immobilie ist werthaltiger als Aktien oder ein Betrag auf dem Konto mit eventuellen Strafzinsen."
Erleben wir gerade eine Trendwende?
Auch Claudia Schlebach (IHK) sieht eine allmähliche Wende: Werkswohnungen werden wieder als Investmentprojekte begriffen. Manche Versicherungsunternehmen und kleinere Betriebe seien eingestiegen. Diese Investitionen finden aber nicht im typischen Werkswohnungbau statt. Viele Anreize (Steuervorteile) sind weggefallen, viele bürokratische Hürden für Unternehmen wurden aufgebaut. Manche Firmen mieten langfristig Wohnungen für Mitarbeiter an (Hotelbranche, Pflege). "Wenn ich eine Fachkraft haben will, muss ich das anbieten", so Schlebach. Im Trend liegen Boardinghäuser: Hier kommen neue Mitarbeiter während ihrer Probezeit, also meist das erste halbe Jahr, unter. Das Grundproblem aber bleibt, so Schlebach: "Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum!"
Wohnangebote für neue Mitarbeiter zu schaffen, ist unumgänglich. So sieht es Peter Kadereit von den Stadtwerken (SWM). "Wir haben 600 Wohnungen und weitere 600 Belegrechte für Mitarbeiter", erklärt er. Gerade haben die Stadtwerke mit dem Bau weiterer Werkswohnungen begonnen. Die SWM sind dabei in einer privilegierten Lage, sagt Kadereit: "Unser Vorteil: Wir haben Grundstücke, die wir in Bauland umwandeln können."
Familien bleiben außen vor
"Ich bin für alles, was uns günstigen Wohnraum beschert", betont Alexandra Gaßmann (Verband kinderreicher Familien). Sie ist froh, dass die Mieten in Genossenschaftswohnungen stabil sind: "Für Familien spielt der Mietpreis eine große Rolle." Die Miete sollte nicht ein zweites Gehalt auffressen. "Bei fünf Personen rechnet man mit jedem Euro."
Sie erinnert daran, dass sich Lebensverhältnisse ändern. Wer als Single nach München kommt, gründet eines Tages eine Familie. "Spätestens beim dritten Kind wird es so eng, dass die Familie wieder wegzieht!" 7.000 Münchner kehren der Stadt jedes Jahr deswegen den Rücken. "Schaffen Sie keinen adäquaten Wohnraum für Familien, dann müssen Sie immer wieder neue Fachkräfte von außen holen", hält Gaßmann das Dilemma fest. Doch der Trend gehe keineswegs in Richtung Familie: "Es werden viermal soviele Ein-Zimmer-Wohnungen gebaut wie für Familien geeignete."
Weg ins Heim statt Wohnungstausch
Wäre es eine Lösung, wenn Ältere, die nach dem Auszug der Kinder allein in großen Wohnungen leben, mit Familien tauschen? "Viele Ältere würden gerne tauschen", weiß Gaßmann, aber sie zahlen für kleinere Wohnungen gleich viel oder mehr wie für ihre alte – das schrecke ab. "Wir brauchen da ein neues Ansetzen!" Ingrid Appel bestätigt das Problem: "Oft würden Ältere gerne die Wohnung tauschen. Aber: Die kleineren Wohnungen sind oft teuerer." Und so gehen Senioren oft ins Heim, wenn sie vor einer Mieterhöhung stehen. "Es bräuchte ein München-Modell auch für Senioren", drängt Appel.
Beatrix Zurek wünscht sich flexiblere Grundrisse für Wohnungen, um auf die veränderten Lebensverhältnisse reagieren zu können. Das sei zwar kompliziert für die Planer, aber wichtig. Geändert haben sich auch die Ansprüche der Menschen, so Zurek: Der Bedarf an Wohnraum pro Person habe sich in den letzten Jahrzehnten verdoppelt (1970 nutzte jeder Münchner im Schnitt eine Wohnfläche von unter 25 qm, heute sind es 40 qm). Auch deswegen steige der Bedarf an Wohnraum.
"Es muss zwingend zum Schulterschluss kommen"
Jeder müsse, so Beatrix Zurek, seine Aufgabe erledigen: die Unternehmen ebenso wie die Kommunen. Sie fordert das Aufgeben von Eitelkeiten: Die Stadt könne das Wohnproblem niemals alleine lösen, das gehe nur zusammen mit der gesamten Region. "Es muss zwingend zu einem Schulterschluss zwischen Umland und München kommen", pflichtet Lothar Semper bei, "die ganze Region muss sich öffnen, um Lösungen zu finden."
Er betont jedoch, dass man nicht nur Wohnflächen benötige: "Wir brauchen auch Gewerbeflächen!" Als Aufgabe der Stadt sieht es Claudia Schlebach an, neue Flächen für den Wohnungsbau nutzbar zu machen. Zugleich müsse die Verkehrsinfrastuktur angepasst werden.
Beatrix Zurek schlägt die Gründung einer gemeinsamen kommunalen Wohnungsbaugesellschaft von Stadt und Umlandgemeinden vor. Genossenschaftswohnungen seien ein wichtiger Stabilisierungsfaktor. Deren Anteil müsse auch in Neubaugebieten erhöht werden. Derzeit werden vor allem Eigentumswohnungen errichtet, kritisiert sie wie Andreas Lotte. "Das kann sich eine normale Familie nicht leisten." Lothar Semper hält es dennoch für richtig, den Investoren zu überlassen, ob sie Miet- oder Eigentumswohnungen bauen.
"Mehr Geld in die Hand nehmen!"
Lotte sieht den Staat, also Bund, Land und Stadt, gefordert, neue Instrumente zu nutzen: Sie sollen ihre Grundstücke nicht nach dem Höchstpreis verkaufen, sondern an denjenigen, der bezahlbaren Wohnraum schafft. Familien und Genossenschaften müssen stärker berücksichtigt werden. Er regt zudem an, vermögenswirksame Leistungen in Genossenschaftsanteile investieren zu lassen: Eltern könnten so auch für ihre Kinder Anteile erwerben.
"Der Staat muss deutlich mehr Geld in die Hand nehmen!" fordert Lotte angesichts des Wohnungsmangels. Andere sind da längst weiter, nennt er als Beispiel das Bundesland Wien: Das Land gebe jedes Jahr 400 Euro pro Einwohner aus, um den Wohnungsbau anzukurbeln; in Bayern sind es gerade einmal 12 Euro.
Unsere Gäste
MdL Andreas Lotte (wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag)
Claudia Schlebach (IHK für München und Oberbayern, Referatsleiterin Mittelstand, Handel, Tourismus und Dienstleistungen)
Lothar Semper (Hauptgeschäftsführer Handwerkskammer für München und Oberbayern)
Peter Kadereit (Stadtwerke München, Leiter der Immobilienabteilung)
Beatrix Zurek (Vorsitzende des Mietervereins München e.V.)
Ingrid Appel (Seniorenbeirätin Hadern / Mieterinitiative Haderner Stern)
Alexandra Gaßmann (Landesvorsitzende des Verbandes kinderreicher Familien in Bayern)
Klaus Schaffarczik (geschäftsführender Vorstand Eisenbahner-Baugenossenschaft München-Hauptbahnhof eG)
Wohnen: Daten der Stadt
2013 in München …
… gab es 768.683 Wohnungen (1,6 % mehr als 2011).
… wurden 7.904 neue Wohnungen fertig (18,5 % mehr als 2011).
… wurde der Bau von 10.470 Wohnungen genehmigt (aber ihr Bau nicht begonnen).
… befanden sich 8.754 Wohnungen in Bau.
… lag die mittlere Nettokaltmiete bei 10,34 Euro / qm.
48,2 Prozent der fertiggestellten neuen Wohnungen (2013) sind Eigentumswohnungen.
Nur eine von 20 Wohnungen in München gehört einer Baugenossenschaft.
Die Kaufkraft ist in München zwar sehr hoch, sie kann das noch höhere Mietniveau aber nicht ausgleichen: Die durchschnittliche Kaufkraft eines Haushalts liegt in München 21 Prozent über dem Deutschlandschnitt, das Münchner Mietniveau jedoch 65 Prozent darüber.
800 Mio. Euro hat der Münchner Stadtrat mit dem Programm "Wohnen V" eingeplant, um 2012 bis 2016 Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen zu schaffen.
34,2 Prozent der fertiggestellten neuen Wohnungen (2013) haben nur ein oder zwei Zimmer (18,5 Prozent haben 5 oder mehr).
40 Wohnungsbaugenossenschaften gibt es in München.
Stadtbaurätin Elisabeth Merk: "In Zeiten fehlender Anlageoptionen sind Wohnimmobilien in München bei Investoren gefragt. Seit 2010 klettern die Preise. ... Entsprechend steigen auch die Mieten weiter kräftig."
Quelle: Bericht zur Wohnungssituation in München 2012-2013, Landeshauptstadt München
Das denken die anderen
Oberbürgermeister Dieter Reiter will, dass "die gesamte Region das Wachstum für sich nutzt und zukunftsweisend steuert".
Andreas Eisele (Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen) sagt: "Nachverdichtung darf kein Tabuthema sein!"
Waltraud Lučić (Bayerischer Lehrerinnen- und Lehrerverband) klagt: "Lehrkräfte in München sind durch die hohen Lebenshaltungskosten benachteiligt!"
Rudolf Stürzer (Haus- und Grundbesitzerverein) fordert "eine steuerliche Förderung der Investoren und eine gezielte Unterstützung der wirklich bedürftigen Mieter."
"Jeder kann vom anderen profitieren "
Oberbürgermeister Dieter Reiter will sich mit dem Umland abstimmen und gemeinsam planen:
München wächst. Das Umland wächst. Manche sagen, wir müssten dieses Wachstum aufhalten. Die Angst, die dahinter steht, kann ich gut verstehen. Doch aufhalten lässt sich Wachstum nicht. Bei aller Kritik sollten wir auch bedenken, dass es München gut geht, gerade weil wir Wachstum haben, weil Unternehmen hier bleiben, sich neue niederlassen, weil Arbeitsplätze nicht abgebaut, sondern erhalten bleiben, ja sogar neue entstehen.
Wohnungen müssen bezahlbar bleiben
Kennen Sie Städte, die kein Wachstum haben? Städte, die schrumpfen? Die Jungen ziehen weg, weil sie keine Zukunft sehen. Die Alten bleiben dort, aber die Sozialleistungen brechen weg, weil die Städte kein Geld für soziale Ausgaben haben. All das muss man bedenken, wenn man sich über das Wachstum in München beklagt.
Natürlich stellt uns dieses Wachstum auch vor große Herausforderungen. Wie schaffen wir es, dass alle Menschen sich München auch in Zukunft leisten können? Wir müssen dieses Wachstum gestalten. Vor allem brauchen wir bezahlbaren Wohnraum. Wohnungen, die heute bezahlbar sind, müssen das auch in Zukunft bleiben. Neue bezahlbare Wohnungen müssen gebaut werden. Wir nützen alle Möglichkeiten, die wir als Stadt haben, um bezahlbare Wohnungen zu erhalten und zu schaffen.
Die Flächen sind endlich
Doch die Flächen im Stadtgebiet sind endlich. Wachstum hört auch nicht an der Stadtgrenze auf. Es wirkt sich auf die Umlandgemeinden und die gesamte Region aus. Deshalb müssen wir in der Politik zusammenarbeiten, die Planungen miteinander abstimmen. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass die Stadt die ein oder andere Buslinie im Umland mitfinanziert, dass wir Schulen gemeinsam planen, dass auch im Umland mehr bezahlbare Wohnungen entstehen. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Jeder kann vom anderen profitieren. Damit die gesamte Region dieses Wachstum für sich nutzt und zukunftsweisend steuert.
"Aufs Gaspedal drücken!"
Andreas Eisele, Präsident BFW Landesverband Bayern e.V. (Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen) fordert mehr Freiheit für Bauträger ein:
Die Ursache für steigende Preise auf dem Wohnungsmarkt in München und anderen Ballungsgebieten ist das Angebot, das nicht mit der Nachfrage Schritt hält. Die beste, einfachste und klügste Lösung für bezahlbaren Wohnraum ist weiterhin die Schaffung von mehr Angebot. Die Kommunen müssen aufs Gaspedal drücken, mehr Freiheit für die Bauträger schaffen, statt auf der Bremse zu stehen. Kleinere und mittlere Einkommen, junge Familien sowie ältere Menschen können es nur leichter auf dem Wohnungsmarkt haben, wenn Bauen für die Bauträger wirtschaftlich ist.
Nachverdichtung darf kein Tabuthema sein
Auch gezielte Nachverdichtung darf kein Tabuthema sein. In der Politik und Bevölkerung fehlt es leider zu oft an Mut konkrete Projekte umzusetzen. Insbesondere gilt dies auch für das Thema Infrastruktur. Die Bedeutung der Infrastruktur ist für unsere Stadt ungemein hoch. Wohnen, Arbeiten und Mobilität – diese Themen lassen sich nicht trennen und müssen aus einem Guss kommen.
"Anreize fehlen"
Waltraud Lučić, Vizepräsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV) fordert bessere Lebensbedingungen für Lehrer in München, damit die Lehrer nach München kommen und bleiben wollen:
Wir brauchen Lehrer, die in München nicht nur auf der beruflichen Durchreise sind. Schul en müssen mittel- und langfristig planen können, Schulprofile müssen entwickelt werden können, Kinder brauchen feste Bezugspersonen.
Im Vergleich mit dem bayerischen Landesdurchschnitt bringen die Standortfaktoren für Schulen in der Großstadt München deutlich mehr Herausforderungen: Das Preisniveau in München liegt rund 20 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Lehrkräfte in München sind durch die im bayerischen Vergleich hohen Lebenshaltungskosten benachteiligt, eine "amtsangemessene Alimentation" für Beamte ist nicht mehr gegeben. Befristet angestellte Lehrkräfte und ganz besonders Lehramtsanwärter können von ihren Einkünften allein ihren Lebensunterhalt in der Stadt kaum bestreiten. Für den Ausgleich der wirtschaftlichen Benachteiligungen für Lehrkräfte in München sollte die "Ballungsraumzulage" ausgeweitet und erhöht werden. Das würde natürlich auch andere Berufsgruppen wie z.B. Polizei betreffen.
Das für die Grund- und Mittelschule n erforderliche Personal umfasst Personengruppen, die durch Zusatzmaßnahmen in die Lage versetzt werden müssen, angesichts der Wohnungs- bzw. Lebenshaltungskosten in München leben und ihren Dienst leisten zu können. Sowohl Lehrkräfte mit Arbeitsverträgen als auch Förderlehrer und Fachlehrer, die jede Schule in München dringend braucht, sind wegen ihres geringe ren Einkommens auf eine deutliche Zulage angewiesen.
München braucht Lehrer, um die Herausforderungen zu meistern, den Schülern Halt und Richtung zu geben und die Qualität an Schule zu sichern.
"Förderung entschärft Dilemma!"
Rudolf Stürzer (Vorsitzender Haus- und Grundbesitzerverein München und Umgebung e.V.) schlägt Anreize für Investoren vor:
Bei der Schaffung von neuem Wohnraum, der nicht nur wegen des Zuzuges, sondern auch infolge des immer noch steigenden Pro-Kopf-Verbrauchs an Wohnfläche dringend benötigt wird, dürfen die Umlandgemeinden die Stadt München nicht im Regen stehen lassen. Schließlich profitieren die Umlandgemeinden auch von der boomenden Landeshauptstadt.
Allerdings ist es mit der Bereitstellung von Bauland allein nicht getan. Es müssen auch Investoren gefunden werden. Derzeit wird viel gebaut; jedoch fast ausschließlich Eigentumswohnungen zur sofortigen oder späteren Selbstnutzung oder auch zum späteren Wiederverkauf. Wohnungen zur dauerhaften Vermietung werden schon seit langer Zeit nur noch vereinzelt gebaut.
Nicht nur hohe Grundstückspreise, sondern auch hohe Baupreise, verursacht durch den Gesetzgeber u.a. durch überzogene energetische Anforderungen; aber auch durch ständig steigende Komfortansprüche der Nutzer, haben im Zusammenspiel mit steuerlichen und mietrechtlichen Verschlechterungen den klassischen Mietwohnungsbau, wie er z.B. in den 50er und 60er Jahren stattgefunden hat, unattraktiv werden lassen; selbst bei den derzeit historisch niedrigen Zinsen. Steigende Zinsen werden das Problem weiter verschärfen.
Tropfen auf den heißen Stein
Die Folge: Die hohen Neubaukosten lassen sich bereits jetzt nur mit einer Miete gegenfinanzieren, die von der Mehrheit der Mieter(innen) nicht bezahlt werden kann. Wohnmodelle wie genossenschaftliches Wohnen oder Werkswohnungen sind insofern ein guter Ansatz, sind und werden aber immer nur der "Tropfen auf dem heißen Stein" bleiben.
Entschärft werden könnte dieses Dilemma durch eine steuerliche Förderung der Investoren, z.B. durch deutlich höhere Abschreibungsmöglichkeiten auf der einen Seite und eine gezielte Unterstützung der wirklich bedürftigen Mieter(innen) durch eine deutliche Anhebung des Wohngeldes auf der anderen Seite. Dies kostet dem Staat Geld.
Aber auch kontraproduktive Maßnahmen wie die Mietpreisbremse kosten dem Staat Geld: Wenn nämlich auch gut und sehr gut verdienende Mieter weniger Miete zahlen, zahlen auch die Vermieter weniger Steuern - nach vorsichtigen Schätzungen jedes Jahr ca. 50 Millionen Euro weniger. Viel Geld, das ein Anreiz für Investoren wäre und über das sich bedürftige Mieter(innen) freuen würden.
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