"Man wächst dadurch zusammen"
Die fast blinde Biathletin Clara Klug über ihr großes Ziel Paralympics, praktische Lösungen und Grenzüberschreitungen fremder Menschen
Clara Klug aus Pasing ist Biathletin. Das Besondere: Die 21-Jährige ist so gut wie blind. Durch eine Genmutation ist sie von Geburt an sehbehindert und ihr Sehvermögen wird zunehmend schlechter. Mittlerweile sieht sie fast nichts mehr. Beim Schießen bekommt sie Kopfhörer aufgesetzt und je nachdem in welchem Winkel sie das Gewehr hält, ertönt eine Tonfrequenz.
Jasmin Seidl von den Münchner Wochenanzeigern sprach mit Clara Klug über ihren Sport und den Umgang mit ihrer Sehbehinderung.
"In Physik wurden Lichtstrahlen mit Gabeln nachgelegt"
Sie haben im Adolf-Weber-Gymnasium am regulären Unterricht teilgenommen. Wie haben sie diese Zeit erlebt?
Clara Klug: Primär bin ich zur Schule gegangen wie jeder Andere auch. Für mich war erst Mal der Übergang besonders, weil ich aus einer Schule für Sehbehinderte gekommen bin und heilfroh war, nur unter Sehenden zu sein, weil man schon anders miteinander umgeht und andere Sachen machen kann. Die Blindenschule habe ich immer eher damit verbunden, dass man Sachen nicht machen kann, die sehende Kinder machen können. Als ich in die normale Klasse integriert wurde, waren die sehenden Kinder sehr interessiert, haben auch gefragt und es hingenommen.
Die Lehrer mussten darauf achten, dass ich die Arbeitsblätter und dergleichen immer am Computer bekam und viele Sachen wurden einfach anders erklärt. Wenn zum Beispiel Bilder an die Wand projiziert wurden, wurden die Schüler einfach ganz anders darauf eingestellt. Sie mussten die Bilder dann beschreiben und oft haben meine Klassenkameraden viel schneller Lösungen gefunden als die Lehrer. Sie haben oft selbst Ideen entwickelt, wie sie es mir beibringen können oder erklären können. In Physik wurden beispielsweise gespiegelte Lichtstrahlen in der Mensa mit Gabeln nachgelegt. Man wächst dadurch zusammen und ich habe mich in meiner Klassengemeinschaft sehr wohl gefühlt. Andere blinde Schüler hatten nicht so viel Glück.
"Der Sport steht gerade im Vordergrund"
Neben dem Sport sind Sie noch im Beruf und im Studium aktiv. Haben Sie noch Zeit für Hobbys oder ehrenamtliches Engagement?
Clara Klug: Sehr wenig. Ich habe momentan sogar kaum Zeit für das Studium. Daher muss ich viel aufholen, da ich im Dezember und im Januar nicht am Unterricht teilgenommen habe und im März Prüfungen schreibe. Hobbys sind kaum möglich und Ehrenamt eigentlich gar nicht, da fehlt mir einfach die Zeit für mich selbst. Ich spiele ab und zu noch Klavier, kann aber auch keinen Unterricht mehr nehmen. Ich versuche mich dann eher mal mit Freunden zu treffen und sie nicht ganz zu vernachlässigen. Der Sport steht gerade im Vordergrund, direkt danach kommt die Uni und dann muss man schauen, wie man den Rest auf die Reihe kriegt.
"Ich habe einfach mal ausprobiert"
Sie wurden von ihrer Grundschullehrerin mit den Langlaufski bekannt gemacht. Wie kamen Sie später zum Biathlon?
Clara Klug: Das ging miteinander einher. Ich habe ungefähr mit acht Jahren spaßeshalber mit dem Langlaufen angefangen. Die Älteren hatten natürlich auch das Schießtraining und dann mit zehn oder elf, habe ich auch eine Waffe in die Hand bekommen und einfach mal ausprobiert. Es war für uns ein Spiel und es hat mir Spaß gemacht.
"Ich denke eigentlich immer von Aktion zu Aktion"
Sie haben bereits erfolgreich an Wettbewerben teilgenommen. Was sind ihre weiteren Ziele?
Clara Klug: Mein großes Ziel ist es, in Pyeongchang, bei den Paralympics 2018, möglichst erfolgreich zu sein. Auf dem Weg dorthin habe ich mehrere kleine Ziele. Ich denke eigentlich immer von Aktion zu Aktion, von Jahr zu Jahr. Ich war jetzt gerade bei der Weltmeisterschaft (WM), die war für mich persönlich ein Riesenerfolg. Bei den nächsten Meisterschaften gebe ich genauso alles und versuche auch da mich selbst voranzubringen und jeden Wettkampf immer ein Stück besser hinzukriegen. Das nächste größere Event wird der Weltcup in Norwegen sein. Da möchte ich versuchen die Rennen noch ein bisschen besser zu laufen. Ich versuche mich also nach vorne zu hangeln und mein großes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
"Das gehört einfach zu mir"
Ihr Sehvermögen wird zunehmend schlechter. Wie gehen Sie mit dem Verlust um?
Clara Klug: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin Keine, die sich daheim verzieht und den ganzen Tag heult, das bringt einfach nichts und widerspricht ein bisschen meiner Persönlichkeit. Man muss schauen, was es bringt, ich bringe mir neue Techniken bei, dadurch dass es immer stückweise schlechter wird, habe ich Zeit mich da rein zu finden. Es gibt natürlich Tage, da denkt man, es wäre schön, etwas zu sehen, oder das nervt mich jetzt alles, aber genauso gibt es Sachen, die ich ohne die Behinderung niemals machen würde. Das gehört dementsprechend einfach zu mir.
Gehört der Biathlon auch dazu?
Clara Klug: Höchstwahrscheinlich. In München ist es ja nicht unbedingt die Sportart, die hauptsächlich ausgeführt wird, da man dafür weite Wege hat. Ich weiß nicht, ob ich jemals zum Langlaufen gekommen wäre, wenn ich was sehen würde.
"Da muss ich mich manchmal zurückhalten"
Wie gehen andere mit ihrer Behinderung um und wie kommen Sie damit zurecht?
Clara Klug: Das ist ganz unterschiedlich. Im Freundeskreis gehört es einfach dazu, das ist halt meine Person. Es gehört auch zur Freundschaft, es ist ganz normal, dass mir geholfen wird, es ist aber auch normal, dass manches von mir gefordert wird. Ich glaube da habe ich meine Freunde gut instruiert, beziehungsweise sie mich. In der Familie ist es dasselbe. Mit fremden Menschen kommt es immer darauf an. Ich bin eher direkt und sage wenn ich was brauche und oft reagieren die Leute ganz gut darauf, so wie Sie vorhin, dass ich mich halt bei Ihnen einhängen kann. Leute, die damit vielleicht Schwierigkeiten haben, die sind dann ein wenig überfordert. Da muss ich mich manchmal zurückhalten und geduldiger sein mit den Anderen. Ich habe nämlich manchmal die Erwartung, dass alle wissen, wie es funktioniert und das natürlich eigentlich nicht erwarten kann.
Problematisch wird es für mich, wenn Leute mir einfach helfen ohne mein Einverständnis. Für mich ist es wichtig, dass die Leute mich ansprechen und fragen und mich nicht einfach irgendwo hinschieben. Es passiert zum Beispiel ganz oft in der Straßenbahn, dass Leute mich einfach nehmen und auf einen Platz drücken. Erstens will ich vielleicht in dem Moment nicht sitzen, zweitens bekomme ich unabhängig davon einfach Angst, wenn Leute mich anfassen. Ich sehe nicht, wenn jemand auf mich zukommt und wenn mich dann jemand berührt, ist das erst einmal eine Schrecksekunde für mich. Je nachdem wie ich an dem Tag drauf bin, wenn ich gestresst bin und der Tag sowieso schon nicht so gut läuft, dann kann es sein, dass ich wirklich Panik bekomme. Das verstehen die Leute oft nicht, wenn ich sie bitte, mich erst anzusprechen und nicht einfach anzufassen. Das ist einfach eine Grenzüberschreitung, die man mit keinem sehenden Menschen macht, aber bei Blinden leider ganz oft passiert.
"Dasselbe wie im Freundeskreis"
Wie ist das in der Universität?
In der Universität ist immer die Frage, wie die Dozenten damit umgehen. Das ist manchmal sehr schwierig, weil sie teilweise überfordert sind. Ich gehe vorher immer zu den Dozenten hin und sage, dass ich in ihrem Kurs bin und versuche dann herauszufinden wie wir das regeln, wie ich die Unterlagen bekomme und wie sie mir helfen können. Mit den Kommilitonen geht es leider meistens im ersten Kontakt über die Behinderung, aber dann ist es eigentlich dasselbe wie im Freundeskreis auch. Es gibt Leute, die damit ganz leicht umgehen und einige, denen das suspekt ist. Dadurch entstehen Bekanntschaften oder halt auch nicht.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
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