Wie umgehen mit Gewalt?
Schüler suchen nach gangbaren Strategien
„Wenn mich jemand einmal angreift, gehe ich zunächst zurück. Kommt er jedoch ein zweites Mal, schlage ich zu!" Diese Antwort bekamen Schüler der Klasse 8a an der Mittelschule in der Ridlerstraße von einem 40-jährigen Mann, der im Kosovo aufgewachsen ist. „Gewalt? Bei uns gilt ‚Kanun'" antwortet der Migrant. Kanun ist ein mündlich überliefertes, altes Gewohnheitsrecht in Albanien, in dessen Zentrum die Ehre steht. Nach dem Kanun ist es beispielsweise Pflicht, gewisse Verbrechen oder schwere Angriffe auf die Ehre durch Blutrache zu vergelten. „Dazu stehe ich", versicherte der Befragte.
Die kleine Schwester kräftig verprügelt zu haben, gestand eine Jugendliche aus Gauting. Der Grund für den handgreiflichen Wutausbruch? „Sie hatte meine Barbie-Puppe geköpft", antwortet die Schülerin. Andere berichten von Gewalt in der Familie – von Eltern, die ihre Sprösslinge schlagen, von Vätern, die ihre Frauen und Kinder verprügeln. Hingegen betonte ein aktiver Taekwondo-Sportler, der kämpfen immerhin als Hobby betreibt: „Gewalt sollte ausschließlich der Selbstverteidigung dienen!"
„Make a Difference Day"
In vier Gruppen ausgeschwärmt waren die Jugendlichen, um Passanten nach persönlichen Erfahrungen mit physischer und psychischer Gewalt zu fragen, oder auch, derartige Gewalt-Szenen zu stellen und fotografisch festzuhalten. Auf ihren Touren begleitet wurden die 13- bis 14-Jährigen von sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma KPMG. Im Rahmen des alljährlich von der IG-Feuerwache veranstalteten Aktionstags „Make a Difference Day" stellt die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Angestellte an diesem speziellen Tag frei, die sich ehrenamtlich engagieren möchten.
Was die Interviewer zu hören bekamen, macht klar: Gewalt findet nicht nur auf Fernseh-Bildschirmen und Computer-Monitoren statt. Gewalt gibt es vielerorts – auch wenn sie nicht immer durch Hämatome und fließendes Blut augenscheinlich wird. Auf der Suche nach Spielarten psychischer Gewalt, erwähnten die Schüler neben Erpressung vor allem Mobbing. Gemobbt wird auf vielerlei Arten, etwa durch Auslachen und Bloßstellen von Mitschülern. Ein besonderes Augenmerk richteten die Mädchen und Jungs auf Mobbing mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien. Jemanden in sozialen Netzwerken lächerlich zu machen oder zu verleumden, erfordert nur geringen Aufwand. Auch die Beleidigung per SMS stellten sie auf ihren Bildern dar. Die Nachricht auf dem Smartphone-Display geht sofort in die Vollen: „Hey Du Miststück, dreckige Schlampe...", steht da zu lesen.
Helfen oder Hilfe suchen
Stellt sich die Frage: Wie kann man mit Gewalt umgehen? Die Angriffe ignorieren? Wohl kaum. Nicht dieselben Fehler machen und gewalttätig werden, sehen die Schüler als wichtige Lehre für alle, die selbst schon mal Opfer von Gewalt wurden. Ansonsten hilft wohl eher zu reden, über Konflikte zu diskutieren. Wichtig sei auch, wenn es zu Gewalt kommt, bloß nicht wegzusehen! Manchmal kann man mäßigend auf den Angreifer einwirken, oder dem Opfer helfen. Allemal möglich sei, referiert ein Junge, andere um Hilfe zu bitten. Je nach Situation könnten dies Menschen sein, die zufällig gerade in der Nähe sind, oder auch professionelle Helfer, etwa bei Beratungsstellen oder gegebenenfalls auch bei der Polizei.
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