"Jeder für jeden"
Werden die Eltern zum Pflegefall, sind die Kinder oft auch finanziell gefragt
Trotz allen medizinischen Fortschritts nimmt jenseits des 80. Lebensjahres die Pflegebedürftigkeit sprunghaft zu: Im Alter von 85 Jahren benötigt bereits jeder Dritte Pflege. Die 7.591 Pflegeplätze in den 56 vollstationären Pflegeeinrichtungen in München waren 2014 daher gut ausgelastet (der aktuelle Marktbericht Pflege des Sozialreferats nennt eine Belegung von 91,7 %). Nach wie vor werden die meisten Menschen - zwei Drittel - aber zuhause gepflegt, also in der Regel von ihren Familien. Das bayerische Sozialministerium erwartet, dass dies nicht so bleibt: Weil sich die Familienstrukturen ändern, weil Ein-Personen-Haushalte zunehmen, weil Berufstätigkeit und Pflege meist nicht unter einen Hut gebracht werden können, wird der hohe Anteil der Pflege zuhause wohl allmählich sinken.
Werden Vater oder Mutter zum Pflegefall, kommen auf die Kinder neben den Sorgen und ihre Eltern oft auch erhebliche Kosten zu. Die Pflegeversicherung deckt in der Pflegestufe III (wenn rund um die Uhr Hilfebedarf besteht) monatlich maximal 1.612 Euro ab. Den Rest müssen die Betroffenen selbst aufbringen. Können sie das nicht, übernimmt das Sozialamt die Kosten - und zieht die Kinder nach deren Leistungsvermögen.zum Unterhalt heran. Diese Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber den Eltern ist im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geregelt.
"In einer Familie kommt grundsätzlich jeder für jeden auf", erklärt das Münchner Sozialreferat die grundsätzliche Regelung, "die Eltern etwas mehr für die Kinder als die Kinder für die Eltern." Wie hoch der "Elternunterhalt" ist, den die Kinder aufbringen müssen, hängt vom Einzelfall ab und ist oft strittig.
Wie haben sich die Pflegekosten entwickelt? Wo finden Angehörige Rat? Die Münchner Wochenanzeiger haben AWO und Caritas dazu befragt.
Der Aufwand ist höher geworden
Warum sind Pflegeplätze heute so viel teurer als früher?
Die Anforderungen an die Qualitätsstandards sind in den letzten 10 bis 15 Jahren gestiegen, erklärt die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Dadurch kommt es zu einem erhöhten Personaleinsatz von qualifizierten Kräften, die natürlich auch angemessen bezahlt werden müssen. Die AWO München-Stadt bezahlt nach Tarif und legt Wert auf eine gute Bezahlung. Zusätzlich sind auch die Kosten gestiegen, weil die Bewohner in den Pflegeeinrichtungen immer älter und kränker sind und dadurch auch der Betreuungsaufwand für sie immer mehr zunimmt.
Etwa 80 Prozent der Kosten kommen aus den Personalaufwendungen, erklärt die Caritas: "Es ist genau geregelt, wie viele Pflegefachkräfte für wie viele Bewohner zur Verfügung stehen müssen. Die Caritas hat einen Tarifvertrag, der einen gerechten Lohn für die Mitarbeitenden garantiert." Für die anspruchsvolle Tätigkeit in der Begleitung und Pflege der Bewohner wäre in ihren Augen noch ein deutlicherer Anstieg notwendig. Wenn die Tarife steigen, erhöhen sich auch die Heimkosten. Vor zwei Jahren hat es in Bayern eine Erhöhung des Personalschlüssels gegeben, den die Träger freiwillig umsetzen können.
"Wir haben heute mehr Mitarbeitende, die untertags für die alten Menschen da sind", so die Caritas, "das ist eine deutliche Qualitätssteigerung, aber sie kostet auch." Dazu kommen Preissteigerungen im Bereich von Energie und Lebensmittel. Auch die vielen gesetzlichen Auflagen für die baulichen Voraussetzungen eines Altenheims haben in den letzten Jahren die Plätze verteuert. Brandschutzauflagen oder sicherheitstechnische Bestimmungen müssen umgesetzt werden. Zum Teil sind Umbaumaßnahmen notwendig, die für einen Altbau nicht wirtschaftlich sind und dazu führen, dass Einrichtungen neu gebaut werden müssen.
Rechtzeitig vorher informieren
Wer legt den Unterhaltsbetrag fest und wo kann man sich beraten lassen?
Der Bewohner eines Pflegeheims oder dessen Angehörige können beim zuständigen Sozialhilfeträger (in der Regel der Bezirk Oberbayern) einen Antrag auf Kostenübernahme stellen, sagt die Caritas. Hierzu kann eine Erstberatung in dem Altenheim erfolgen, in dem man wohnt, oder in das man einziehen möchte. Der Bezirk Oberbayern berät selbst und die Caritas hat Beratungsstellen für pflegende Angehörige.
Ob und in welcher Höhe eine Unterhaltsforderung erfolgt, richtet sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen, erläutert die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Der Sozialhilfeträger prüft bei der Kostenübernahme eines Heimplatzes die Unterhaltsforderungen des Pflegebedürftigen und berechnet diese individuell.
Diese Berechnung erfolgt nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sowie den Leitlinien der Süddeutschen Oberlandesgerichte: Kinder müssen für die pflegebedürftigen Eltern aus ihrem Einkommen nur dann Unterhaltszahlungen leisten, wenn ihre Einkünfte bestimmte Freibeträge überschreiten. Die so genannten Selbstbehalte sind in den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (SüdL) geregelt.
Pflegebedürftige und ihre Familien sollten sich am besten rechtzeitig vor Aufnahme in ein Heim über die Heimplatzfinanzierung und eventuelle Unterhaltsforderungen informieren, rät die AWO. Auskünfte hierzu erteilt die Servicestelle des Bezirks Oberbayern, diese ist unter der Telefon-Nummer 089/2198-21010, -21011 zu erreichen.
Wohlfahrtsverbände helfen und beraten
Gibt es Beratungsstellen für solche Familienfragen?
Für diese Fragen stehen die Fachstellen für pflegende Angehörige zur Verfügung, die in den Caritas-Zentren angesiedelt sind. Sie beraten in allen Angelegenheiten rund um Pflege, also auch über Unterstützung in der Pflege, Entlastungsmöglichkeiten und Finanzierung.
Die AWO bietet mit ihrer Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen ein umfangreiches Beratungs- und Unterstützungsangebot an. Das multiprofessionelle Team unterstützt bei der Klärung der persönlichen Fragestellungen und bei der Suche nach geeigneten Lösungen. So informieren die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle beispielsweise zu den Leistungen der Pflegeversicherung, zu den Möglichkeiten der häuslichen Versorgung, bei Fragen zu Demenz und anderen Alterserkrankungen, zu Wohnformen im Alter oder zu Vollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung.
Außerdem vermittelt die Beratungsstelle ambulante Hilfen wie Pflege- und Hospizdienste, teilstationäre und stationäre Einrichtungen wie Tagespflege oder Pflegeheime, ehrenamtliche Besuchs- und Begleitdienste, Entlastungsangebote für pflegende Angehörige wie Gesprächskreise oder Kurangebote, und soziale Kontakte im Viertel.
"Ziel der Beratung ist es stets, älteren Menschen ein selbstbestimmtes und selbstgestaltetes Leben zu ermöglichen sowie pflegende Angehörige in ihrer schwierigen und belastenden Lebenssituation zu unterstützen und zu entlasten", unterstreicht die AWO.
"Für Betroffene wird es schwieriger"
Welche Lücken in der Unterstützung / Beratung pflegender Angehöriger sehen die Verbände?
"Die Komplexität des Systems der Pflegeversicherung nimmt ständig zu", fasst die Caritas zusammen. Das bedeutet, dass es für die Betroffenen immer undurchschaubarer wird und dazu immer häufiger eine professionelle Beratung notwendig ist. Für Betroffene wird es schwieriger, die Finanzierung des Pflegeangebots zu verstehen und es entsprechend zu nutzen, wie auch das passgenaue Angebot für die jeweils aktuelle Pflegesituation herauszufinden.
Die bislang bestehende Lücke in der Beratung für berufstätige Angehörige hat die AWO-Beratungsstelle seit diesem Jahr mit einer Abendsprechgruppe und einer neuen Angehörigengruppe geschlossen. Dieses in dieser Form bislang einmalige Angebot in München findet jeweils am letzten Montag im Monat statt (Sprechstunde 17.00-18.30 Uhr, Angehörigengruppe 19.00-20.30 Uhr).
"Weitere Lücken beobachten wir in der direkten Versorgungsstruktur", so die AWO. Sie nennt Beispiele:
Kurzzeitpflegeangebote, die buchbar oder nur für wenige Tage möglich sind;
Nacht-/Wochenendbetreuung für Demenzerkrankte;
Ausreichendes Angebot an bezahlbaren bzw. niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen (insbesondere im Bereich der hauswirtschaftlichen und Alltagshilfen);
Angemessene haus- und fachärztliche Versorgung in der Häuslichkeit;
Begleiteter Urlaub für Pflegebedürftige mit ihren Angehörigen.
Hier wird Ihnen weitergeholfen
Die Caritas bietet auf ihrer Homepage www.caritas-nah-am-naechsten.de weitere Informationen.
Die Arbeiterwohlfahrt gibt auf www.awo-muenchen.de einen Überblick über Ihre Beratungsangebote.
Die Servicestelle des Bezirks Oberbayern ist eine erste Anlaufstelle für Fragen zu sozialen Hilfen (Tel. 089 / 2198-21010 und 21011), z.B. für Auskünfte über Heimplatzfinanzierung und eventuelle Unterhaltsforderungen.
Der Bezirk Oberbayern hat die Broschüre "Hilfe für Senioren – Ein Leitfaden zu den Leistungen der Sozialhilfe" herausgegeben (Download unter www.bezirk-oberbayern.de möglich).
Die Stadt München gibt eine gute Übersicht über das inzwischen sehr breite Beratungsangebot unter http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Sozialreferat/Sozialamt/Alter-und-Behinderung/Beratung-und-Hilfe.html.
Die Verbraucherzentrale Bayern hält Infomaterial bereit,z.B. den Ratgeber "Elternunterhalt" (14,90 Euro). Info: www.verbraucherzentrale-bayern.de.
Der VdK ist der größte Sozialverband in Deutschland und bietet Infos für Rentner, Menschen mit Behinderung, chronisch Kranke, Pflegebedürftige und deren Angehörige. Info: www.vdk.de/bayern.
Die Würmtal-Insel ist eine Informations- und Anlaufstelle für soziale Fragen und Anliegen aller Art für die Bürger in Gräfelfing, Krailling, Planegg und Neuried. Info: www.wuermtal-insel.de.
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