"Er wäre sich treu geblieben"
Helmut Zöpfl erinnert an Sigi Sommer, seine Tafelrunde und einen sprachgewaltigen Roman
Dieser Stammtisch war Kult. Wer dazu eingeladen wurde, hatte es geschafft. Geschafft in den inneren Zirkel des Sigi Sommer, in die Tafelrunde sozusagen. Die Sitzordnung bestimmte er, und wenn er sprach, der Meister, dann schwiegen sie. Alle. Am 23. August wäre der bekannte Münchner Journalist und Schriftsteller 100 Jahre alt geworden.
"Vergessen wie nur grad was"
Bekannt? Ja, zumindest den älteren Münchnern ist Sigi Sommer als genauer Beobachter, als hervorragender Erzähler mit spitzer Feder ein Begriff. Und dennoch: "Er ist vergessen wie nur grad was." Der das sagt, ist Helmut Zöpfl, 76, Professor der Schulpädagogik und ehemaliges Stammtisch-Mitglied. Sigi-Sommer-Zeitzeuge quasi. Man hätte, sagt Zöpfl und hebt beschwörend die Hand, den Sigi Sommer würdigen sollen, mit einer Lesung, mit etwas, das ihm gerecht wird. Mit diesem Anliegen habe er sich an Christian Ude gewandt, der zu diesem Zeitpunkt noch Münchens Oberbürgermeister war. "Und dem Seehofer habe ich auch geschrieben. Aber eine Antwort habe ich nicht bekommen", sagt Zöpfl und schüttelt verständnislos den Kopf. "Ich finde es wahnsinnig schade."
"Ich war nie per Du mit ihm"
Als junger Mann stieß Zöpfl zum Stammtisch. Man traf sich nicht monatlich, nicht wöchentlich. Zöpfl lacht. "Nein, das war jeden Tag. Also so dreimal die Woche sollte man da schon dazu kommen", erinnert er sich. Im Sommer im Augustiner, im Winter im Klösterl. Da saß Zöpfl dann inmitten der Sommer-Runde, wo sich der Karrikaturist Ernst Maria Lang und Filmproduzent Luggi Waldleitner ebenso trafen wie Hans Jochen Vogel und Franz Josef Strauß. "Der Herr Sommer hat bestimmt, wer wo sitzt. Und dann hat er oft so einen Ofen dabei gehabt. Er hat sich gerühmt, dass er den selbst erfunden hat. Ich sollte ihn anzünden, aber das ist mir immer missglückt", erzählt Zöpfl. Mit dem Radi schneiden habe es schon besser geklappt. "Ich war nie per Du mit dem Sigi Sommer", so der 76-Jährige weiter. "Ich hatte einen Respekt-Abstand, das war wie ein Lehrer-Schüler-Verhältnis."
"Sollte in den Schulen gelesen werden"
Sigi Sommer wurde 1914 in München geboren. Nach seinem Schulbesuch in der Gotzinger Schule absolvierte er eine Lehre zum Elektrotechniker. Im Zweiten Weltkrieg war er in Frankreich und an der Ostfront im Einsatz. Zurück in München, arbeitete Sommer zunächst bei der Süddeutschen Zeitung. 1949 wechselte er zur AZ. Ab 2. Dezember erschien hier seine Lokalkolumne "Blasius, der Spaziergänger", die am 2. Januar 1987 zum letzten mal gedruckt wurde - nach rund 3.500 Kolumnen. Bereits 1954 veröffentlichte Sommer seinen Roman "Und keiner weint mir nach", von dem Bert Brecht sagte, dies sei der "beste Roman, der nach dem Krieg geschrieben wurde." Zöpfl nickt zustimmend. "Dieser Roman ist derart dicht und von so einer Sprachgewalt, er sollte eigentlich verpflichtend in den Schulen gelesen werden."
"Ich habe dabei geweint"
"Und keiner weint mir nach" ist die Geschichte der Bewohner eines Münchner Mietshauses und insbesondere des jungen Leonhard Knie, der am Ende Selbstmord begeht. Eine Milieustudie, tragisch, mit launigem Unterton. "Ich habe", erinnert sich Zöpfl, "diesen Roman als Fortsetzungsroman in der SZ gelesen. Und ich habe dem Sigi Sommer gesagt, dass ich dabei geweint habe." Sommer habe ihm daraufhin anvertraut, dass er lange nicht gewusst habe, wie der Roman endet. "Ich bin aufgestanden und habe mich in der Früh entschlossen, Leonhard Knie sterben zu lassen - so hat es mir der Sigi Sommer erzählt", berichtet Zöpfl. "Der Sigi Sommer war ein Romantiker. Er hatte eine raue Schale und einen sehr weichen Kern. Er war der Leonhard Knie."
Sigi Sommer starb am 25. Januar 1996 in München. Wie wäre er wohl heute? Hätte er eine Homepage und ein Handy? Zöpfl ist sich sicher: "Wenn er eine Homepage hätte, dann würde die jemand für ihn machen, aber er selbst bestimmt nicht. Er wäre sich treu geblieben."
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