Welcher Pflegeaufwand besteht im Alltag?
So entscheidet der MDK-Gutachter / Frühzeitige Beratung ist wichtig
„Mit Fragen rund um das Thema Pflege beschäftigen sich die meisten Menschen erst, wenn sie selbst davon betroffen sind – sprich: Wenn sie selbst oder ein Angehöriger im Alltag nicht mehr alleine zurechtkommt und Unterstützung benötigt", weiß Rolf Scheu aus langjähriger Erfahrung. Der stellvertretende Leiter der Abteilung Pflegebegutachtung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern weiß auch, dass viele dann eine Menge Energie verschleudern mit Aktionen und Versuchen, die nicht wirklich effektiv sind.
Frühzeitig beraten lassen
Dabei bräuchte sowohl der Betroffene als auch dessen Familie alle Kräfte und Ressourcen, um den Herausforderungen der neuen Situation gerecht werden zu können. Deshalb empfiehlt der Experte dringend: „Wenden Sie sich frühzeitig an kompetente Beratungsstellen – beispielsweise an die Deutsche Alzheimergesellschaft – und auch an die Pflegekasse. Denn diese vermögen, gangbare Wege aufzuzeigen, also zielgerichtete Hilfe bei der Organisation und der Finanzierung der Pflege zu organisieren."
Finanzielle Unterstützung von der Pflegekasse, die stets der Krankenkasse angegliedert ist, erhalten Menschen, die Pflege benötigen. Ausschlaggebend ist jedoch nicht der Bedarf an Hilfe im Haushalt, sondern ein Hilfebedarf bei der Grundpflege – beispielsweise beim Waschen, Anziehen, Essen eingeben oder beim Gehen. Neben den Pflegestufen 1 bis 3 gibt es auch die Pflegestufe „Null" für Pflegebedürftige, deren Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags erheblich eingeschränkt sind (z.B. Demenzerkrankung). Die "Pflegestufe 0" verlangt zwar auch, dass der Betroffene Hilfe bei der Grundpflege benötigt; diese Unterstützung muss aber nicht das für "Pflegestufe 1" erforderliche Maß erreichen.
Pflegeperson soll beim MDK-Termin dabei sein
Ein Anruf bei der Pflegekasse genügt, um ein Antragsformular zu erhalten. Wurde dieses eingereicht, beauftragt die Pflegekasse den MDK, ein Gutachten zu erstellen. Der MDK-Mitarbeiter wird dann einen Hausbesuch durchführen, der Termin wird in der Regel schriftlich dem Antragsteller mitgeteilt.
„Wenn irgend möglich sollte der / die Pflegende – sei es ein Angehöriger oder die Nachbarin – bei dem Termin mit dem Gutachter anwesend sein", rät Rolf Scheu: „Denn der Gutachter soll einen Eindruck bekommen, welcher Pflegeaufwand im Alltag besteht." Dafür ist es hilfreich, wenn die pflegende Person vorab zwei bis drei Tage lang ein sogenanntes Pflegetagebuch führt, also aufschreibt, welche Art von Unterstützung genau notwendig war. Zudem sollte man die aktuell verordneten Medikamente, und - falls vorhanden - auch relevante Unterlagen zur Hand haben, etwa die Dokumentation des Pflegedienstes, ärztliche Atteste oder Krankenhausberichte.
Gutachter kennen die "Fassadierung"
Und selbst wenn der Betroffene beim Besuch des MDK-Mitarbeiters plötzlich Fähigkeiten zeigt, zu denen er lange nicht mehr imstande war, brauchen Angehörige nicht zu erschrecken. Die erfahrenen MDK-Mitarbeiter kennen dieses Phänomen durchaus. „Kommt eine fremde Person ins Haus und stellt intime Fragen, geben sich Pflegebedürftige oft große Mühe, um möglichst fit zu wirken. Denn mitunter fürchten sie, sonst in ein Heim zu kommen", erklärt Scheu: „Dieses Verhalten nennen wir ‚Fassadierung'. Dann wird der Gutachter durchaus wissen, wie er die Fassade des Patienten aufrechterhält, um ihn nicht zu beschämen, dennoch aber dessen Defizite erkennt."
Hilfsmittel erleichtern den Alltag
Der MDK fasst die Ergebnisse der Begutachtung sowie eine Empfehlung zur Einstufung in eine Pflegestufe in einem schriftlichen Gutachten zusammen, das er an die zuständige Pflegekasse weiterleitet. Darüber hinaus kann das Gutachten Hinweise zu sinnvollen Pflegehilfsmitteln oder Verbesserungsmöglichkeiten im Wohnumfeld enthalten. Denn große Erleichterung im täglichen Leben kann beispielsweise bereits ein Hocker in der Dusche bringen, ein Rollator oder ein höhenverstellbares Pflegebett.
Widerspruch ist möglich
Die Entscheidung über die Pflegestufe und damit über die Leistungen der Pflegeversicherung trifft die Pflegekasse und schickt darüber einen schriftlichen Bescheid. Das MDK-Gutachten kann der Betroffene bei seiner Pflegekasse anfordern. Wer mit dem Bescheid der Pflegekasse nicht einverstanden ist, kann bei der Pflegekasse Widerspruch einlegen.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH