Familien nicht alleine lassen
Das neue Kinderpalliativzentrum schließt eine Versorgungslücke
„Bisher lagen unheilbar kranke Kinder häufig auf einer Intensivstation. Das war belastend für die kleinen Patienten, ihre Familien und auch das Team auf den Stationen“, erinnert Prof. Dr. Monika Führer die bisherige Situation. In München ist das nun anders: Im April hat das Kinderpalliativzentrum München (KPM) unter ihrer Leitung mit der Patientenversorgung begonnen. Kinder und ihre Familien erhalten hier die bestmögliche Therapie und Pflege sowie psychosoziale und spirituelle Unterstützung. Das Zentrum am Campus Großhadern wurde in einer Bauzeit von 18 Monaten errichtet. Von den benötigten 7,5 Millionen Euro wurden 5,5 Millionen Euro durch Spenden über den Förderverein Kinderpalliativzentrum München gesammelt.
Ärzte erhoffen sich neue Impulse
Das Klinikum der Universität München bündelt die Erfahrung der Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin. Diese ist aus einem Projekt entstanden, das Prof. Führer 2003 mit dem damaligen Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin der LMU, Prof. Gian Domenico Borasio, initiiert hatte. Seitdem wurden über 500 unheilbar erkrankte Kinder und Jugendliche vom Kinderpalliativteam zuhause betreut. In akuten Krisensituationen fehlte aber die Möglichkeit, die Kinder auf eine spezialisierte Kinderpalliativstation aufzunehmen. Diese Versorgungslücke ist nun geschlossen.
"Die Palliativmedizin ist eine wichtige wissenschaftliche Disziplin", betonte Bayerns Wissenschaftsminister Dr. Ludwig Spaenle, "die LMU und das Klinikum sind Vorreiter. Das Kinderpalliativzentrum ist ein Meilenstein bei dieser Entwicklung. Von ihm werden wichtige Impulse für die Fort- und Ausbildung von Ärzten ausgehen.“
Sich der ganzen Familie annehmen
Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich die Räume für die Ärzte, Pflegenden und die psychosozialen Mitarbeiter der Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin. Diese Abteilung wurde vor 13 Jahren gegründet, um die Familien mit ihrem Wunsch, ihre unheilbar kranken Kinder zu Hause zu pflegen, nicht alleine zu lassen. Derzeit begleitet das Team des KPM ambulant rund 50 Familien in München und Oberbayern.
Auf der Station im ersten Stock befinden sich acht Einzelzimmer, in denen die kranken Kinder und Jugendlichen betreut werden und deren Eltern dort mit übernachten können. Jedes Zimmer hat Zugang zu einem Balkon, auf den auch das Krankenbett geschoben werden kann. Zentral zwischen den Zimmern liegt der Stützpunkt für das Pflegepersonal. „Unser Ziel ist es, Kinder so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld zu betreuen. Kommt eine Familie in einer Krise zu uns auf die Station, setzen wir die Möglichkeiten der modernen Palliativmedizin ein, um die Situation so zu stabilisieren, dass das Kind möglichst schnell wieder nach Hause gehen kann. Längere Aufenthalte auf unserer Station können bei Kindern notwendig werden, die unter starken Schmerzen oder anderen sehr belastenden Symptomen wie Atemnot leiden und bei denen die medikamentöse Einstellung sehr aufwändig ist“, sagt Prof. Führer.
Geborgenheit geben, Angst nehmen
Die Konzeption des Gebäudes folgt der Leitidee der Palliativversorgung, Familien vollständig in die Betreuung zu integrieren, um den Bedürfnissen des erkrankten Kindes wie auch der Eltern und Geschwister gerecht zu werden und die Familien nicht trennen zu müssen. Das Zentrum ermöglicht es Angehörigen, für die Dauer ihres Aufenthalts zwei voll ausgestattete Apartments im Gebäude zu belegen. Zusätzlich wird allen Familienmitgliedern ein großzügiger Ruheraum zur Verfügung gestellt, in dem gekocht und gespielt werden kann, sowie eine umfassende psychologische Beratung angeboten. „Kinder und besonders schwer kranke Kinder haben andere Bedürfnisse als Erwachsene. Kinder brauchen auch bei einem notwendigen stationären Aufenthalt Raum für ihre Familie, ihre Eltern und Geschwister, die ihnen Geborgenheit, Kraft und Mut geben. Und wir müssen ein besonderes Augenmerk darauf richten, den Kindern durch eine freundliche und helle Gestaltung die Angst vor der ungewohnten Umgebung zu nehmen“, so die Schirmherrin des Projektes, Karin Seehofer .
Bis zu 5.000 Kinder sterben
Jährlich sterben in Deutschland bis zu 5.000 Kinder und Jugendliche an Krankheiten. Durch die direkte räumliche Nähe des Zentrums zur Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin des Klinikums (Prof. Dr. Claudia Bausewein) arbeiten zum ersten Mal an einer Universitätsklinik die Erwachsenen- und die Kinderpalliativmedizin Seite an Seite. So können durch die weltweit einzigartige Kombination von Krankenversorgung, Forschung und Lehre in der Palliativmedizin über alle Lebensalter hinweg neue Erkenntnisse umgehend in den Behandlungsalltag integriert werden.
Am Klinikum der Universität wurde bereits 1999 die erste Interdisziplinäre Palliativmedizinische Einrichtung etabliert, die 2013 zur Klinik für Palliativmedizin erhoben wurde. Mit dem Kinderpalliativzentrum baut das LMU-Klinikum diesen Kompetenzbereich weiter aus, wie der Ärztliche Direktor, Prof. Dr. Karl-Walter Jauch, betont: „Wir erhoffen uns von dem neuen Zentrum Impulse, die über die Kinderpalliativmedizin hinausgehen. Diese Impulse sollen uns helfen, die notwendige Synthese von menschlicher Empathie und wissenschaftlicher Evidenz in unserem Klinikum immer besser zu realisieren.“
Mitfühlen können
"Wer schwerstkranken und sterbenden Menschen beisteht, braucht ein großes Einfühlungsvermögen und emotionale Stärke. Das gilt umso mehr, wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt", sagte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. "Mein besonderer Dank gilt deshalb allen Menschen, die sich um das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Kinderpalliativmedizin und Kinderhospizarbeit, aber eben auch um deren Familien kümmern." Das Gesundheitsministerium hat den Aufbau und die Ausstattung der Station mit 100.000 Euro gefördert.
Insgesamt gibt es an 98 Krankenhäusern in Bayern palliativmedizinische Versorgung: 49 Krankenhäuser verfügen über eine Palliativstation. Sechs Krankenhäuser haben sowohl eine Palliativstation als auch einen palliativmedizinischen Dienst. 49 Krankenhäuser haben ausschließlich einen palliativmedizinischen Dienst.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH