"Mehr Geld zur Verfügung"
Pflegestärkungsgesetz 2017: Was ändert sich dadurch?
Zum 1. Januar 2016 ist das Pflegestärkungsgesetz II in Kraft getreten. Die Änderungen, welche dieses Gesetz mit sich bringt (neues Begutachtungsverfahren und Umstellung der Leistungsbeträge der Pflegeversicherung), werden allerdings erst zu Beginn des Jahres 2017 wirksam. Das Stärkungsgesetz soll die Situation von pflegebedürftigen Menschen und Pflegekräften verbessern und die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz berücksichtigen. Stärker als bislang sollen Hilfen zum Erhalt der Selbstständigkeit und der verbliebenen Fähigkeiten bereitgestellt werden. Was das genau das bedeutet, erklärt Dr. Susanne Matz, Geschäftsführerin des Pflege- und Betreuungszentrums München, den Lesern der Münchner Wochenanzeiger in einem Interview.
Münchner Wochenanzeiger: Frau Dr. Matz, was bedeutet „pflegebedürftig“? Nach welchen Kriterien bewerten die Pflegekassen dies?
Dr. Susanne Matz: Pflegebedürftig ist jeder Mensch, der wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung Unterstützung bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung für sechs Monate oder länger benötigt. Die Pflegekassen unterteilen die Pflegebedürftigkeit dann in die verschiedenen Pflegestufen von 0 bis III +. Bewertet wird das Maß der Unterstützung unter anderem vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Hierbei werden die verschiedenen Kriterien wie Körperpflege, hauswirtschaftliche Versorgung oder Mobilität in Minuten umgerechnet und daraus ergibt sich dann die jeweilige Pflegestufe.
Was ist der Unterschied zwischen Pflegedienst und Tagespflege? Wer kann welche Variante in Anspruch nehmen?
Der Pflegedienst kommt zu den pflegebedürftigen Menschen nach Hause und versorgt sie in ihrer gewohnten Umgebung. Bei unseren Tagespflegen ist es so, dass die Gäste morgens zu uns kommen und dann den Tag bei uns verbringen. Es gibt ein gemeinsames Frühstück, natürlich auch Mittagessen und Kaffee und Kuchen und es finden verschiedene Beschäftigungsangebote statt. Natürlich bieten wir unseren Kunden auch einen eigenen Fahrdienst an. In Anspruch nehmen kann jeder Pflegebedürftige beide Angebote parallel. Seit dem Pflegestärkungsgesetz I, das Anfang 2015 in Kraft getreten ist, können die teilstationären Angebote, wie Tagespflegen offiziell bezeichnet werden, auch neben den ambulanten Leistungen in vollem Umfang in Anspruch genommen werden. Es gibt doppeltes Budget.
Welche wesentliche Änderungen bringt das Pflegestärkungsgesetz 2017 – für Patienten und für Angehörige?
Die wesentlichste Änderung ist, dass die Pflegestufen durch die fünf neuen Pflegegrade ersetzt werden. Wichtig ist, dass kein Versicherter schlechter gestellt wird als bisher. Im Grunde kann man sagen, dass jedem Pflegebedürftigen ab nächstem Jahr mehr Geld für Leistungen aus der Pflegeversicherung zur Verfügung steht. Natürlich ändert sich dadurch auch das Begutachtungsverfahren. In dem neuen Begutachtungsassessment, kurz NBA, werden die Selbstständigkeit und die Fähigkeiten in sechs Bereichen erfasst und mit Punkten bewertet. Die Gesamtpunktzahl ergibt dann den jeweiligen Pflegegrad.
Die Tagespflege wird aufgewertet. Welche Leistungen übernimmt die Pflegekasse für die Tagespflege zusätzlich?
Seit letztem Jahr wird die Tagespflege als wesentlicher Bestandteil in der ambulanten Versorgung hervorgehoben und bekommt die gleiche Höhe an Sachleistungen zugesprochen wie der ambulante Pflegedienst. Konkret heißt das: Vorher mussten sich Pflegedienst und Tagespflege für jeden Pflegebedürftigen das Budget der Kasse teilen. Jetzt werden 100% Sachleistungsanspruch der jeweiligen Pflegestufe für den Pflegedienst und nochmal 100% Budget zusätzlich für die Tagespflege von der Pflegeversicherung übernommen. Die pflegebedürftigen Menschen können also länger zuhause leben und ein Heimeinzug wird verhindert bzw. hinausgezögert.
Außerdem übernimmt die Pflegeversicherung ab September die Personalkosten für die zusätzlichen Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI in den Tagespflegen Aubing und Laim. Dadurch steht den Gästen eine weitere speziell geschulte Mitarbeiterin zur Verfügung.
Wird der Besuch einer Tagespflege nun möglich ohne große finanzielle Eigenleistung?
Wie auch im stationären Bereich übernimmt die Pflegeversicherung bei einem Besuch der Tagespflege nur Kosten für den pflegebedingten Aufwand und für den Fahrdienst. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten (insgesamt 20,58 Euro täglich) werden als Eigenleistung berechnet. Diese Eigenanteilrechnung können die Tagespflegegäste jedoch bei ihrer Pflegekasse einreichen und bekommen über die zusätzlichen Betreuungsleistungen bis zu 208 Euro pro Monat erstattet.
Werden Demenzkranke mit der Anpassung des Gesetzes endlich besser berücksichtigt?
Ganz klar ja! Bisher spielt die körperliche Verfassung eine wesentliche Rolle in der Begutachtung für die Pflegebedürftigkeit. Natürlich bleibt die Mobilität auch weiterhin wesentlicher Bestandteil, aber die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten, sowie die Verhaltensweisen und psychischen Auffälligkeiten bekommen eine stärkere Gewichtung. Insgesamt geht die gesamte Beurteilung weg von dem statischen Abfragen von Fähigkeiten hin zu einer ganzheitlichen Beurteilung der Fähigkeiten eines Menschen.
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