"Viele Stellen bleiben unbesetzt"
Die Fachkräftelücke wird immer größer, deswegen setzen die Betriebe auch auf Zuwanderung
Die bayerische Wirtschaft hat ein Rekordjahr hinter sich gebracht: Nie zuvor gab es im Freistaat so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie 2014, erklärte Peter Driessen (Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages, BIHK) bei der Vorstellung des IHK-Fachkräftemonitors. Im Vergleich zu 2013 haben die Unternehmen 110.000 Personen mehr eingestellt - doch das reicht nicht aus: In diesem Jahr werden in Bayern 132.000 Fachkräfte fehlen (110.000 beruflich Qualifizierte und 23.000 Akademiker).
Jeder Zehnte wird fehlen
Mit dem IHK-Fachkräftemonitor versuchen die bayerischen IHK mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR, die Entwicklung zu prognostizieren. Demnach wird die Lücke in Bayern im Jahr 2030 noch viel weiter aufgerissen sein: Dann werden in ganz Bayern 347.000 Fachkräfte fehlen und damit fast jede zehnte Stelle unbesetzt bleiben (9,6 %) fehlen. In München sieht es etwas weniger dramatisch aus, hier wird sich der Fachkräftemangel von derzeit 45.000 auf 87.000 Beschäftigte (damit 8,2 % unbesetzte Stellen 2030) "nur" verdoppeln.
Studium garantiert kein Lebensglück
Vier von zehn Unternehmen sehen schon heute im Fachkräftemangel ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Gesucht werden vor allem beruflich qualifizierte Mitarbeiter: Mechatroniker, Automatisierungstechniker, Maschinenbauer und Elektroniker führen die Wunschliste der Betriebe an. In diesem Berufen sind bereits jetzt über 14 Prozent der Stellen nicht mehr besetzt. Peter Driessen wirbt daher für die berufliche Ausbildung: "Es gibt viel mehr Möglichkeiten als junge Menschen heute sehen", sagte er, "und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Studium zum absoluten Lebensglück führt, ist überschaubar." Die duale - also mit den Betrieben durchgeführte - Ausbildung "ist definitiv nicht schlechter als eine Hochschulausbildung!" Natürlich werden auch Akademiker gesucht, doch in einem relativ eingeengten Rahmen: Es fehlen vor allem Elektroingenieure: Allein diese Gruppe macht 40 Prozent des gesamten bayerischen Akademikermangels aus.
Wo Frauen arbeiten, gibt es keine Lücke
In Berufen, in denen der Frauenanteil hoch ist, ist kein Fachkräftemangel spürbar. Driessen nannte als Beispiele u.a. die Rechts- und Verwaltungs- sowie Gesundheits- und Wellnesseberufe (Frauenanteil bei über 74 Prozent).
Ohne Frauen wird es also auch in technischen Berufen nicht möglich sein, die entstehenden Lücken zu schließen: "Wir müssen dringend mehr Frauen in diese zukunftsträchtigen Berufe bringen", so Driessens Appell. Das gehe jedoch nur, wenn Familie und Beruf (für die Eltern) besser vereinbar werden (die Unternehmen denken hierbei vor allem an den Ausbau der Kinderbetreuung) und wenn Mädchen schon im Vorschulalter für Technik begeistert werden.
Bayern braucht dauerhafte Zuwanderung
Aber: „Allein mit der Aktivierung der heimischen Fachkräftpotentiale werden wir die Lücke nicht schließen können“, so Driessen. Bayern benötige vielmehr eine dauerhafte Zuwanderung. Diese gelte es transparent zu steuern, indem Kriterien wie Berufserfahrung, Qualifikation und Alter bei den Migranten berücksichtigt werden.
Darüber hinaus forderte Driessen, Flüchtlingen einen leichteren Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu geben. Er betonte seine Unterstützung für das 3-plus-2-Modell, dass Auszubildenden und Betrieben Sicherheit geben würde (jugendliche Migranten sollen während ihrer dreijährigen Ausbildung und ihren beiden ersten Berufsjahren danach einen sicheren Aufenthaltsstatus haben).
"Es wird vieles schiefgehen"
Driessen sieht noch viel Handlungsbedarf: "Wir müssen die Integration der Zuwanderer stärker fördern!“ Das Beherrschen der Sprache sei der wichtigste Schlüssel zur Integration. Daher brauche man mehr Sprachkurse (auch im Ausland) und viel mehr Lehrer, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten können. Eine vernünftige Unterbringung von Migranten sei noch immer nicht durchgehend vorhanden und manche Gruppen von ihnen - etwa die unbegleiteten Jugendlichen - brauchen eine bessere sozialpädagogische Betreuung. Hier sieht Driessen "definitiv einen Mangel". Zugleich müsse die Politik sicherstellen, dass die nötigen Maßnahmen nicht als Anreiz für Flüchtlinge verstanden werden oder kriminelle Schleuser fördern. "Es wird vieles schiefgehen, auch das ist klar", meinte Driessen. Die Unternehmen werden aber ihren Beitrag zum Gelingen leisten.
Abwanderung senken
"Politisch wie gesellschaftlich muss klar ausgedrückt werden, dass ausländische Fachkräfte - und nicht nur Hochqualifizierte - in Bayern willkommen sind", unterstrich Driessen und forderte bayernweit regionale „Welcome Center“ als Anlaufstellen vor Ort für Neuankömmlinge. Umgekehrt müsse die hohe Zahl der Abwanderer (2013 zogen 240.000 Menschen aus dem Ausland nach Bayern, gleichzeitig wanderten aber 157.000 ab) gesenkt werden.
Mehr Informationen zum Fachkräftemangel in den bayerischen Regionen und den verschiedenen Branchen unter www.ihk-fachkraeftemonitor-bayern.de.
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