"Viele Kinderkrankheiten sind schwere Erkrankungen"
Kinder impfen lassen: Ja oder nein? Prof. Dr. med. Johannes Hübner gibt Auskunft
Prof. Dr. med. Johannes Hübner ist Abteilungsleiter Infektiologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital (Kinder- und Jugendmedizin sowie Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie). Den Münchner Wochenanzeigern beantwortete er häufige Fragen rund ums Impfen.
Vermeidbare Krankheiten nehmen wieder zu
Impfen ist für viele Eltern ein "heikles Thema" geworden. Ist bei uns eine gewisse "Impfmüdigkeit" zu beobachten bzw. mit Zahlen zu belegen?
Prof. Johannes Hübner: Die Impfmüdigkeit in Deutschland ist klar und deutlich an den Durchimpfungsraten ersichtlich, die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zum Beispiel in Skandinavien und in Großbritannien erschreckend niedrig sind. Außerdem sehen wir in den letzten Jahren zunehmend häufiger Erkrankungen, die durch Impfungen verhindert werden können, wie zum Beispiel Masern und Keuchhusten.
"Eltern haben Erkrankungen nicht mehr erlebt"
Die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (StIKo) sind gut begründet. Woher kommt die Verunsicherung vieler Eltern?
Prof. Johannes Hübner: Das ist für mich auch nicht nachvollziehbar. Die Empfehlungen der StIKo werden sehr gut erklärt und stimmen auch mit den Empfehlungen anderer vergleichbarer Länder mehr oder weniger vollständig überein. Ich denke, dass ein Grund dafür ist, dass viele Eltern diese Erkrankungen nicht mehr erlebt haben oder sich zumindest nicht richtig erinnern können. Viele Kinder-Krankheiten sind wirklich quälend und manche - wie zum Beispiel Masern - wegen den Folgeerkankungen sehr gefährlich. In früheren Zeiten, als tausende Kinder z.B. an Diphterie oder Masern gestorben sind, hätte sich diese Frage so nicht gestellt und alle Eltern wären froh gewesen, ihre Kinder schützen zu können.
Nebenwirkungen sind meist unproblematisch
Eltern sorgen sich natürlich um ihre Kinder. Sie fürchten Impfschäden oder Nebenwirkungen. Wie berechtigt sind solche Sorgen?
Prof. Johannes Hübner: Die häufigsten Nebenwirkungen - ein dicker Arm, Fieber - sind unproblematisch; schwere und dauerhafte Impfschäden sind dagegen extrem selten. Bei der Einführung einer Impfung werden diese Zahlen natürlich gegeneinander abgewogen und eine Impfung wird nur dann empfohlen, wenn der Nutzen die Gefahren klar und eindeutig überwiegt. Ich persönlich habe nur sehr wenige Kinder mit schweren Impfschäden gesehen, aber viele Kinder mit schweren Dauerschäden oder auch Todesfälle zum Beispiel nach Masern, Diphterie, Keuchhusten und Varizellen.
"Häufig lebenslange Schäden"
Kinder sind in der Regel in vielen Gruppen (Kita, Schule) unterwegs. Warum überlässt man den Infektionsschutz nicht dem "natürlichen" Weg über durchgemachte Erkrankungen?
Prof. Johannes Hübner: Einerseits sind viele Kinderkrankheiten schwere Erkrankungen, die man dem Kind ersparen möchte. Zum Beispiel geht der Keuchhusten mit wochenlangen, schweren Hustenattacken und Erstickungsanfällen einher, da sind die Kinder - und natürlich auch die Eltern - sehr belastet. Eine große Gefahr stellt der Keuchhusten aber dann auch für Säuglinge dar, die gar nicht so sehr mit Husten, sondern eher mit Atempausen reagieren und bei denen es dann zum plötzlichen Kindstod kommen kann. Bei Masern ist die Rate an Komplikationen sehr hoch: Die Masern-Enzephalitis tritt bei ungefähr einem von 1.000 Kindern auf, die Masern bekommen. Diese Kinder haben häufig lebenslange neurologische Schäden, die wir durch die Impfung verhindern können.
Vertrauen auf den "Herdeneffekt"
Um Epidemien z.B. bei Masern zu verhindern, ist es nötig, dass in einer Gruppe die Mehrheit der Kinder geimpft sind. Können Sie uns diesen Zusammenhang erklären?
Prof. Johannes Hübner: Man nennt dies den "Herden-Effekt" und er besagt, dass eine Erkrankung sich nicht ausbreiten kann, wenn alle bzw. die meisten Menschen geschützt sind. Selbst wenn ein Individuum erkrankt, steckt es niemanden an, da idealerweise alle Kontaktpersonen immun sind. Dieser Herdeneffekt ist die einzige Möglichkeit, mit der wir Kinder schützen können, die wir - aus welchen Gründen auch immer - nicht selbst impfen können. Diese Kinder - zum Beispiel Kinder nach Chemotherapie oder Organstransplantationen - müssen dann darauf vertrauen, dass keiner sie infiziert, da auch banale Infektionen bei diesen Patienten schwer oder sogar tödlich verlaufen können.
"Für die Kinder besteht keine Gefahr"
Die Impfungen für Kinder sind meist Mehrfachimpfungen. Müssen so viele Impfungen auf einmal sein?
Prof. Johannes Hübner: Glücklicherweise können wir inzwischen vor vielen Erkrankungen schützen und bei den meisten wollen wir mit dem Schutz so früh wie möglich beginnen, da häufig Säuglinge oder Kleinkinder stärker gefährdet sind. Deshalb konzentrieren sich viele Impfungen im ersten und zweiten Lebensjahr. Um nicht für jede Einzelimpfung extra stechen zu müssen, werden viele dieser Impfungen als Kombinationsimpfung angeboten, wobei die Verträglichkeit und Wirksamkeit der Kombination der Einzelkomponenten dann auch getestet und nachgewiesen ist. Für die Kinder besteht dabei keine Gefahr - unser Immunsystem ist jeden Tag vielen unterschiedlichen Infektionserregern ausgesetzt und wir bilden täglich Antikörper gegen Bakterien und Viren, die uns besiedeln oder infizieren.
"Stadt ist kein Risikogebiet"
Draußen spielen ist für Kinder wichtig. Wie bewerten Sie die Bedeutung der FSME-Impfung?
Prof. Johannes Hübner: Draußen spielen ist auf jeden Fall wichtig und keine "Infektionsgefahr" sollte die Kinder davon abhalten. Das Stadtgebiet von München ist kein FSME-Risikogebiet, aber die umgebenden Landkreise, z.B. Bad Tölz, Freising, sowie das Allgäu schon. Die FSME-Impfung wird sehr gut vertragen und deshalb macht es durchaus Sinn, Kinder zu impfen, die häufig in diesen Bereichen draußen sind und häufig Zecken haben. Insgesamt haben wir in ganz Deutschland jährlich nur ca. 300-400 FSME Fälle, die meisten und vor allem auch die schweren Verläufe bei Erwachsenen.
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